Sepsis: Zu hohe Mortalität bei Kindern

Berlin – Die Sepsisinzidenz bei Kindern unter einem Jahr in Deutschland ist mit etwa 1.500 Fällen pro 100.000 Einwohnenden ähnlich hoch wie bei über 80-Jährigen. Die Sterblichkeit bei den Älteren liege bei 30 Prozent und sei mit 16,6 Prozent bei unter 19-Jährigen „für die Pädiatrie extrem hoch“, warnte heute Michael Sasse von der Medizinischen Hochschule Hannover bei einer Pressekonferenz zum morgigen Welt-Sepsis-Tag. Das Thema Sepsis müsse ganz oben auf die politische Agenda, waren sich die Referierenden einig.
Die Ursachen der hohen Mortalitätsraten unter den Kindern sind längst bekannt: In einer Studie aus dem Jahr 2014 resultierte die suboptimale Versorgung bei Kindern mit Sepsis vor allem dadurch, dass das Krankheitsbild bei 40 Prozent nicht als Sepsis gedeutet wurde, wodurch es zu einer Therapieverzögerung (4,5 Stunden) kam und auch die Antibiotikagabe in vielen Fällen zu spät erfolgte (24 Prozent) (Plos One; DOI: 10.1371/journal.pone.0107286).
Ein verspätetes Aufsuchen medizinischer Hilfe seitens der Familien und eine Fehleinschätzung des Schweregrads durch den Arzt oder die Ärztin waren in 20 Prozent der Fälle das Problem. „Das Furchtbare ist, dass der größte Zeitverzug durch die Fachkräfte entsteht“, sagte Sasse, der auch Leiter des Pädiatrischen Intensivnetzwerks Norddeutschlands ist, das bereits seit mehr als 20 Jahren existiert und von Beginn an die Sepsis als Schwerpunkt benannt hat.
Jede Stunde zeitliche Verzögerung der Therapie erhöhe die Sterblichkeit um 40 Prozent, betonte der Experte aus Hannover. Denn Kinder hätten wenig Kraftreserven, die Lunge und die Herzkraft seien noch nicht gut ausgebildet – umso schneller müsse man in der Therapie sein.
Die Unterschätzung des septischen Erkrankungsbildes macht laut Benedikt Pannen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), auch deutlich, wie dringend ein besseres Verständnis und eine effektivere Behandlung von Sepsis erforderlich sind.
Als Beispiel nannte Thorsten Brenner, Sprecher der Sektion Intensivmedizin innerhalb der DGAI, die innovative Erregerdiagnostik mittels Next Generation Sequencing (NGS) zum Nachweis kleinster DNA-Spuren der Erreger im Blut.
„Dies ist ein bedeutender Fortschritt gegenüber der herkömmlichen kulturellen Anzucht, die oft zu langsam ist und in vielen Fällen den Erreger nicht nachweisen kann.“ Ein weiterer vielversprechender wissenschaftlicher Ansatz, der die Zukunft der Sepsisdiagnostik und -therapie maßgeblich verändern könnte, ist die Entwicklung des sogenannten „digitalen Zwillings“.
„Bedeutende Fortschritte in der Sepsis gibt es auf unserem hohen medizinischem Niveau nur über Aufklärung, Ausbildung, Training und Networking“, ist Sasse überzeugt. Mithilfe von Sepsisteams in den Kliniken könne man die Sepsissterblichkeit auf bis zu zwei Prozent bei Kindern und Erwachsenen senken. Wenn man sich aber auf Kongressen umhört, gebe es erstaunlicherweise kaum Kliniken mit solchen Sepsisteams, sagte Sasse.
Am Vorabend des morgigen Welt-Sepsis-Tages 2024 hat die Sepsis-Stiftung heute in einer Pressekonferenz die neue Checkliste für Kinder bei Verdacht auf Sepsis der Öffentlichkeit vorgestellt. Diese frei verfügbare Hilfe für Eltern und Angehörige des medizinischen Personals kann dabei unterstützen, die anfangs unspezifischen Zeichen einer beginnenden Sepsis frühzeitig zu erkennen.
Je früher die Behandlung beginnt, desto größer sind die Chancen, eine Sepsis ohne schwere Folgeschäden zu überstehen – gerade für Kinder besonders wichtig. Darüber hinaus wurden auch weitere Ansätze wie das Kids/Mum-Projekt vorgestellt, mit dem das Sepsis-Wissen bei Kindern, Jugendlichen, Müttern und medizinisch Versorgenden gesteigert werden soll.
Neue Sepsis-Checkliste jetzt auch für Kinder
„Auch wenn wir als Industrieland im weltweiten Vergleich eine niedrige Kinder- und Säuglingssterblichkeit haben, ist doch im Vergleich zu Schweden, Australien und den USA die Sepsissterblichkeit bei Erwachsenen und auch in der Altersgruppe zwischen 0 und 19 Jahren in Deutschland doppelt so hoch“, erklärte Konrad Reinhart, Vorstandsvorsitzender der Sepsis-Stiftung, Gründungspräsident der Global Sepsis Alliance und Mitglied der nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Deshalb habe man nach der Checkliste für Erwachsene nun auch eine neue Kinder-Checkliste erstellt.
„Das Beispiel Großbritannien zeigt aber auch: Man braucht auch ärztlich besetztes Beratungstelefon, an das sich Eltern und fachärztliches Personal rund um die Uhr mit ihren Fragen zu Sepsis wenden können, um Sterblichkeit und schwere Folgeschäden deutlich zu senken. “ Dieses Angebot will das auf Spenden basierte Multi-Stakeholder-Projekt Kids/Mum erreichen.
Erst diese Woche hat die Sepsis-Stiftung im Bundestag die „2030 Global Agenda for Sepsis“ vorgestellt – eine Strategie zur nachhaltigen Senkung der Sterblichkeit und der Langzeitfolgen von Sepsis. Das Deutsche Ärzteblatt hat berichtet.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: