Smartphone-App könnte COVID-19 an der Stimme erkennen

Barcelona – Eine mit Künstlicher Intelligenz (KI) ausgestattete mobile App ist offenbar in der Lage, eine COVID-19-Infektion an der Stimme zu erkennen. Das berichteten Forschende aus den Niederlanden beim internationalen Kongress der European Respiratory Society (ERS) in Barcelona (Abstract OA1626).
Die KI habe dabei häufiger richtig gelegen als Standard-Antigentests und sei darüber hinaus billiger und leichter anzuwenden, sagte Erstautorin Wafaa Aljbawi vom Institut für Data Science an der Universität Maastricht, Niederlande.
Auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts räumte Aljbawi ein: „Wir konnten nicht testen, ob das KI-Modell zwischen COVID-19 und anderen Atemwegserkrankungen unterscheiden kann.“ Den Forschenden stünden momentan nur Daten zur Verfügung, die COVID-19-Patienten und Nicht-COVID-19-Patienten vergleichen.
Das KI-Modell mit Daten von Patienten mit unterschiedlichen respiratorischen Erkrankungen zu testen, wäre ideal, ergänzte Aljbawi. Auch um herauszufinden, ob sich das Stimmsignal in verschiedenen Patientengruppen unterscheide.
Besser als Antigentests
In der beim Kongress vorgestellten Studie habe das KI-Modell in 89 % der Fälle richtig gelegen, so Aljbawi. Im Kongressabstract war die Rede von 84 % – seit der Einreichung wurden die Daten jedoch erweitert und haben ein noch besseres Ergebnis erzielt.
Die Treffgenauigkeit von Antigentests variiere dagegen stark, auch abhängig von der Marke. Im Abstract wird sie mit 56,2 % angegeben. Zudem seien Antigentests erheblich weniger akkurat bei COVID-19-Patienten, die keine Symptome zeigten.
Eine Infektion mit COVID-19 betrifft üblicherweise die oberen Atemwege und die Stimmbänder, was zu Veränderungen der Stimme der Patienten führt. Dies brachte Aljbawi und ihre Kollegen auf die Idee zu untersuchen, ob man nicht KI nutzen könnte, um die Stimme zu analysieren und so COVID-19-Infektionen nachzuweisen.
Bitte einmal husten, atmen und sprechen
Sie verwendeten die COVID-19 Sounds App der University of Cambridge, die 893 Stimmproben von 4.352 gesunden und nicht-gesunden Teilnehmern enthält – 308 davon waren positiv auf COVID-19 getestet worden. Die Nutzenden machen in der App einige grundlegende Angaben zu Demografie, medizinischer Vorgeschichte und Raucherstatus und zeichnen dann einige Audioproben auf – Husten, tiefes Atmen durch den Mund und das Vorlesen eines kurzen Satzes.
Basierend auf diesen Proben und deren Aspekten wie Lautstärke, Stimmkraft und Variation im Zeitverlauf entwickelten die Forschenden ein KI-Modell. Während Treffgenauigkeit insgesamt sowie Sensitivität bei 89 % lagen, betrug die Spezifität 83 %.
Schnell und einfach auszuwerten
„Diese Ergebnisse zeigen, dass einfache Stimmaufnahmen und fein abgestimmte KI-Algorithmen potenziell in der Lage sein könnten, mit hoher Präzision zu ermitteln, ob Patienten mit COVID-19 infiziert sind“, sagte Aljbawi. Solche Tests per App könnten kostenfrei zur Verfügung gestellt werden und sind einfach auszuwerten. „Darüber hinaus würden sie es erlauben, Patienten aus der Ferne zu testen und lieferten in unter einer Minute ein Ergebnis. Sie könnten zum Beispiel am Eingang von Großveranstaltungen eingesetzt werden, um die Besucher zu screenen.“
Was die im Vergleich zu Antigentests (üblicherweise 99,5%) niedrigere Spezifität angeht, sagte Aljbawi: „Die hohe Spezifität von Antigentests bedeutet, dass nur einer von 100 gesunden Getesteten fälschlicherweise einen positiven COVID-19-Befund erhält. Das KI-Modell würde dagegen 17 von 100 Nicht-Infizierten fälschlicherweise als positiv anzeigen. Da der Test per App allerdings kostenlos ist, könnte man die Menschen zu PCR-Tests einberufen, falls der Test positiv ausfällt.“
Der nächste Schritt ist die Validierung der Ergebnisse
Die Ergebnisse müssten noch in großen Stichproben bestätigt werden, so die Forscherin. Aber seit dem Start des Projekts seien bereits 53.449 Audioproben von 36.116 Teilnehmenden gesammelt worden. Sie könnten nun genutzt werden, um das KI-Modell zu verbessern und zu validieren. Darüber hinaus untersucht die Forschungsgruppe, welche Aspekte der Stimme es sind, die das KI-Modell beeinflussen.
Die Maastrichter Arbeitsgruppe ist nicht die erste, die an der Erkennung von COVID-19-Infektionen basierend auf Stimmproben arbeitet. Schon zu Beginn der Pandemie im Frühjahr 2020 zeigten der Augsburger KI-Forscher Björn W. Schuller und seine Team, dass man mit verschiedenen Algorithmen COVID-19 aus Audioproben erkennen kann (2020; DOI: 10.48550/arXiv.2005.00096).
Unterscheidung nur zwischen krank und gesund möglich?
In The Lancet Digital Health schreibt der Inhaber des Lehrstuhls für Embedded Intelligence for Health Care and Wellbeing an der Universität Augsburg: „Eine Sorge ist, dass die KI-Algorithmen schlicht zwischen gesunden und kranken Menschen unterscheiden, und nicht spezifisch COVID-19 nachweisen. Die Unterscheidung zwischen Gesunden und Kranken ist eine sehr viel einfachere, aber weniger nützliche Ausgabe.“ (2021; DOI: 10.1016/S2589-7500(21)00141-2)
Derzeit ist Schuller beteiligt an einer Untersuchung einer Arbeitsgruppe am Alan Turing Institute in Großbritannien, gefördert von der UK Health Security Agency, eine Regierungsbehörde des britischen Gesundheitsministeriums. Die bislang noch nicht publizierten Daten stimmen positiv: „Wir haben mittlerweile eine sehr große Stichprobe unter anderem mit COPD und Asthma und anderen Atemwegserkrankungen getestet“, sagte er gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt. „Sie zeigen, dass eine Unterscheidung grundsätzlich möglich ist, überzufällig und um 80 % zufallsnormalisiert, aber nicht perfekt.“ Man habe bei den Stichproben auch sichergestellt, dass die KI nicht Risikofaktoren erkennt, wie etwa männlich höheres Alter, sondern COVID-19 bei gleicher Risikolage, ergänzte der Informatiker.
Primär beeinflusse eine Atemwegserkrankung den Klang der Stimme, so Schuller weiter. Aber je nach Art der Atemwegserkrankung ergebe sich hier durchaus ein Unterschied, den die KI erkennen könne.
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