Politik

Spahns Kassenpläne sorgen für Streit

  • Freitag, 2. Oktober 2020
/wladimir1804, stock.adobe.com
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Berlin – In der Coronapandemie sind die Staatskasse, aber auch die Haushalte der ge­setzli­chen Krankenversicherung (GKV) mit deutlichen Mehrausgaben belastet worden. Besonders bei den Krankenkassen ärgert man sich über viele Leistungen, die als „versi­cherungsfremd“ eingestuft werden und dennoch von der GKV übernommen wurden.

Dazu gehören beispielsweise die Tests für Reiserückkehrer oder auch die Kosten für Schutz­ausrüstungen sowie das Aussetzen von Prüfquoten für Krankenhäuser. Insgesamt beziffern die Krankenkassen die GKV-Ausgaben für die Pandemie auf zehn Milliarden Euro. Daraus – und aus anderen Effekten – werde im Jahr 2021 ein geschätztes Defizit von etwa 16,6 Milliarden Euro entstehen.

Einkalkuliert ist dabei noch nicht, ob sich die Einnahmebasis der GKV verändert, also we­niger Menschen in sozialversicherungspflichtigen Jobs sind. Wie dieses Defizit im Wahl­jahr 2021 ausgeglichen werden könnten, darüber wird derzeit zwischen Kassenfunktio­nä­ren, dem Bundesgesundheitsministerium, aber auch den Parlamentariern im Bundestag debattiert.

Und auch einige Landespolitiker werden sich sicher in die Debatte einmischen – wenn klar wird, dass beispielsweise „ihre“ AOK einige von den hohen Rücklagen wird abgeben müssen. Denn das BMG hat bereits einen Plan vorge­legt, wie ein Anstieg der Lohnne­ben­kosten aufgefangen werden kann.

So soll der Bundeszuschuss aus Steuermitteln einmalig um fünf Milliarden Euro er­höht werden, der durchschnittliche Zusatzbeitrag um auf 1,3 Prozent steigen. Weitere acht Milliarden Euro sollen von den finanzstärkeren Krankenkassen getragen werden. Damit will die Bun­desregierung die „Sozialgarantie 2021“ erhalten, bei denen die Lohnnebenkosten bei un­ter 40 Prozent bleiben. Nach dieser Rechnung sind sie wohl nun bei 39,95 Prozent.

Betroffen von solch einem Eingriff in die Krankenkassenfinanzen sind bei den AOKen die AOK Sachsen-Anhalt, die AOK Hessen, die AOK Niedersachsen sowie die AOK Plus in Sachsen und Thüringen, die noch am meisten Rücklagen haben. Nach Informationen des Deutschen Ärzteblattes sollen aus der AOK-Familie mehr als vier Milliarden Euro aus Rück­lagegel­dern in den Finanzausgleich fließen – damit mehr als die Hälfte.

Weitere mehr als zwei Milliarden Euro kommen von den vdek-Kassen, bei denen die Tech­niker Krankenkasse zu den „reicheren“ und finanzstärkeren Kassen gehört. Hier sollen es etwas über eine Milliarde sein, die aus den Reserven entnommen werden. Die Abgaben der anderen Kassenarten, dazu zählen die Betriebskrankenkassen oder die Innungs­kran­kenkassen betragen zwischen 64 und rund 800 Millionen.

Gegen diesen „Eingriff in die Selbstverwaltung“ haben sich viele Selbstverwaltungsgre­mien der Krankenkassen in den vergangenen zwei Wochen mit Brandbriefen und Reso­lu­tionen gewehrt – allein, es wird sicherlich nicht helfen. Die Regelungen sind bereits im Versorgungsverbesserungsgesetz (GPVG) enthalten, dass Ende September im Bundes­ka­binett beraten wurde und nun im Parlament auf die Tagesordnung kommt.

Die Haltung im Bundesgesundheitsministerium bleibt. Die Rücklagen der Krankenkassen sollen eingesetzt werden. Das zeigt auch ein kleines Scharmützel, dass sich Bundesge­sund­heitsminister Jens Spahn (CDU) mit der Vorstandsvorsitzenden des GKV-Spitzenver­bandes, Doris Pfeiffer, am Rande einer Podiumsdiskussion der Kassenärztlichen Bundes­ver­einigung (KBV) lieferte.

Pfeiffer erklärte, dass die Reserven der Krankenkassen 2020 aufgebraucht seien und auch die bisherige Gesetzgebung viel Geld gekostet habe. Der Minister fiel der Kassenfunktio­närin ins Wort: „20 Milliarden Überschuss sind für Sie nichts?“ Und weiter: „Wofür sind Rücklagen? In einer Weltwirtschaftskrise wie dieser müssen sie zur Stabilisierung einbe­zogen werden.“

Einige Stunden danach thematisierten die Oppositionspolitiker in der parlamentarischen Debatte zum Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums die Finanzpläne. Im Haushalt des Bundesgesundheitsministeriums ist der Zuschuss von 19,5 Milliarden Euro zum Ge­sund­heitsfonds der größte Posten.

Während Spahn selbst das Thema Kassenfinanzen in der Debatte nicht ausdrücklich an­sprach, kritisierte der Linken-Gesundheitspolitiker Harald Weinberg, dass die Kassen viel zu viele versicherungsfremde Leistungen übernommen haben.

„Folglich haben die Kassen mehr erwartet. Aber Finanzminister Scholz wollte wohl nicht mehr rausrücken. Das ist das Elend der Steuerfinanzierung: Plötzlich bestimmt der Fi­nanz­minister, welche Gesundheitspolitik gemacht wird“, so Weinberg.

Er kritisierte auch die flotten Sprüche des Ministers, die „Krankenkassen sind keine Spar­kassen“. „Wer mal eben die Beitragszahler für Coronaausgaben in Haftung nimmt, die die Allgemeinheit zu zahlen hätte", müsse sie "nach der jeweiligen Finanzstärke, also die Rei­chen und Vermögenden mehr als die Armen“ belasten, so Weinberg.

Für Maria Klein-Schmeink, Sprecherin der Grünen, sind die Finanzpläne aus dem BMG „eine schwere Bürde für die nächste Wahlperiode“. Denn auch nach 2022 wird das Geld knapp bleiben, da vor allem die Gesetze von Spahn sowie seinem Amtsvorgänger Her­mann Gröhe mit jährlich etwa zwölf Milliarden Euro die Etas der Kassen zusätzlich be­lasten werden. So rechnen es jedenfalls Vertreter von Krankenkassen vor.

Daher hätte die Bundesregierung weitere Reformen angehen müssen, während noch Geld vorhanden war, so Klein-Schmeink. „Was Sie gemacht haben, ist, etwas Sozialgarantie zu nennen, was Ihnen in Wahrheit aber eigentlich nur über dieses Wahljahr helfen wird. So schaffen Sie es, mit einer leichten Anhebung der Beitragssätze auszukommen und dann gleichzeitig den Bundeszuschuss und die Rücklagen der Krankenkassen anzutasten, um einigermaßen über die Runden zu kommen.“

Die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Sabine Dittmar, ver­tei­digte den Eingriff in die Kassenfinanzen der Großen Koalition: „Ich gebe zu: Das ist nicht schön.“ Sie könne den „Unmut von vielen Verwaltungsräten in der gesetzlichen Kranken­versicherung verstehen".

Und weiter: „Das ist ein Eingriff in die Finanzautonomie, der sehr tiefgehend ist und der unter normalen Bedingungen sicher nicht zu dulden wäre. Aber die Alternative wäre eine Verdoppelung der Zusatzbeiträge, und ich bin davon überzeugt, dass eine solche Bei­trags­steigerung jetzt, in der Krise, mit Blick auf die notwendige konjunkturelle Erholung ein falsches Signal wäre.“

Andere Mitglieder der Koalitionsfraktionen äußerten verhalten Kritik an dem Vorgehen: Der CSU-Gesundheitspolitiker Georg Nüßlein betonte, man sei sich im Bundestag wohl mehrheitlich darüber einig, dass man die Krankenversicherungsbeiträge mittels Steuerzu­schüssen stabilisieren muss. Hier hätte man sich seitens der CDU/CSU-Fraktion „mehr gewünscht“.

Dies sei aber am Bundesfinanzminister gescheitert. Deshalb gebe es nichts anderes, als letztendlich die Finanzreserve der Kassen entsprechend zu belasten, und zwar mit acht Milliarden Euro. Nun müsse es darum gehen, nicht die Kassen unnötig viel in Anspruch zu nehmen, die gut gewirtschaftet haben – hier sei man „auf dem richtigen Weg“.

Edgar Franke (SPD) verwies grundsätzlich auf „nicht unerhebliche Mehrausgaben im Ge­sundheitshaushalt“. Die Coronapandemie werde trotz aller Geldspritzen „ein großes Loch“ in die Finanzen der Krankenkassen reißen. Diese bekämen nicht nur weniger Beiträge, sondern hätten auch mehr Ausgaben – nicht nur durch die Coronatests, sondern auch aufgrund vieler weiterer gesetzlicher Anpassungen.

„Insofern, glaube ich, müssen wir auch die Bedenken der Krankenkassen ernst nehmen“, so Franke. Diese bekämen fünf Milliarden Euro extra. Das zeige, dass man die Kassen und ihre Versicherten durch diesen Haushalt nicht im Stich lasse.

bee

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