Steinmeier fordert „Haltung des Hinschauens“ bei sexuellem Missbrauch

Berlin – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine „Haltung des Hinschauens“ angesichts des weiter massiven Problems des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen gefordert. „Ich wünsche mir, dass wir in unserem Land geschlossen an der Seite der vielen Menschen stehen, die in Kindheit und Jugend sexuelle Gewalt erlitten haben“, sagte Steinmeier heute bei einer Begegnung mit dem Nationalen Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen.
Der vor gut eineinhalb Jahren gestartete Nationale Rat, in dem sich zahlreiche staatliche und nicht staatliche Spitzenakteure versammeln, verabschiedete jetzt einen Maßnahmenkatalog für einen besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen. Dieser richtet sich vor allem an die kommende Bundesregierung.
In der gemeinsamen Erklärung fordern sie die konsequente Anwendung von Schutzkonzepten in Kinderbetreuungseinrichtungen. Zudem sollen durch stärkere Vernetzung von sozialen Stellen, Gesundheitswesen, Kinder- und Jugendhilfe Missbrauchsfälle früher aufgedeckt werden. Ermittlungs- und Gerichtsverfahren sollen kindgerechter werden, zum Beispiel mithilfe von Videovernehmungen.
Ziel sei es, Schutz und Hilfen bei sexualisierter Gewalt und Ausbeutung zu verbessern, kindgerechte Gerichtsverfahren zu gewährleisten und die Forschung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt weiter voranzubringen, hieß es.
Das Gremium war 2019 vom Bundesfamilienministerium eingesetzt worden. Rund 300 Fachleute aus Politik, Wissenschaft, Gesellschaft, Fachpraxis und auch Betroffene kamen seitdem in mehreren Sitzungen und Arbeitsgruppen zusammen.
Steinmeier unterstützte heute die Forderungen nach mehr staatlichen Anstrengungen gegen sexuelle Gewalt. So hätten sexuelle Gewalt und Ausbeutung in den digitalen Medien „ein unvorstellbares Ausmaß erreicht“. Missbrauchsdarstellungen würden millionenfach weltweit verbreitet.
„Im Coronajahr haben Verbreitung und Konsum solcher Bilder und Filme noch einmal stark zugenommen." Obwohl sich in den vergangenen Jahren viel getan habe in Politik und Gesellschaft, sei es nicht gelungen, das Ausmaß sexuellen Missbrauchs zu verringern. Die digitalen Medien wirkten da „wie ein Brandbeschleuniger“.
Opfer würden in ihrem Umfeld übersehen oder eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht, noch immer komme in Institutionen die Aufarbeitung nur schleppend voran. „Wir müssen deshalb mehr tun“, verlangte der Bundespräsident. So müssten der Austausch und die Zusammenarbeit gefördert werden.
Steinmeier nannte dabei ausdrücklich den Nationalen Rat als gutes Beispiel.
Bundesfamilienministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte, es komme jetzt darauf an, dass die von den staatlichen und nicht staatlichen Spitzenakteuren vorgeschlagenen Maßnahmen in der nächsten Legislaturperiode weiter umgesetzt würden. Von den vorgeschlagenen Maßnahmen hob sie besonders hervor, dass Gerichtsverfahren kindgerecht gestaltet werden sollten, damit Kinder und Jugendliche so wenig wie nötig erneut belastet würden.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, forderte mit Blick auf den Anstieg von sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche im Internet, dass der nächste Bundestag und die nächste Bundesregierung eine starke Enquetekommission einsetzen sollten, die eine Grundsatzstrategie gegen sexuelle Gewalt im Netz beschließen solle. Rörig forderte auch, den vor gut eineinhalb Jahren eingesetzten Nationalen Rat als ständigen „Thinktank“ zu etablieren.
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