Stets für den Patienten
Ärzte sind in gewisser Hinsicht in einer Machtposition: Durch ihre therapeutischen und diagnostischen Maβnahmen teilen sie Ressourcen der Allgemeinheit einzelnen Menschen zu. Natürlich sind die meisten Ärzte sich dieser Position bewusst und fühlen sich bemüβigt, zugunsten der Gesellschaft ressourcenschonend zu arbeiten, gerade in Zeiten enger werdender Budgets. Leider beiβt sich das öfters mit den einzelnen Interessen eines Patienten, vor allem, wenn er multimorbide ist und die Behandlung oder Diagnostik nur kleine Vorteile bei der Gesamtbehandlung mit sich bringt – ist es dann besser zu therapieren oder zu rationieren?
Diesen Konflikt kann man als Arzt an für sich nur auf eine Weise gut lösen: Konsequent zugunsten des Patienten entscheiden. Will ich beispielsweise eine Patientin mit metastasiertem Mammakarzinom mit HER2-positivem Tumor adäquat behandeln, dann verabreiche ich ihr seit November 2012 nicht nur Trastuzumab, sondern Trastuzumab Emtansine (Verma S et al: “Trastuzumab emtansine for HER2-positive advanced breast cancer”, NEJM 367 (19): 1783-1791).
Die Zusatzkosten von geschätzten $50.000 je Patientin für knapp drei Monate längerer Überlebenszeit darf ich nicht berücksichtigen bei meiner Therapieentscheidung – das übersteigt meine Kompetenz als Arzt, denn ich behandele Einzelne und eben nicht Gesellschaften. Das ist Aufgabe der Gesellschaft, der Politik und der Krankenversicherungen diese Fragen zu lösen und der Patientin zu vermitteln, nicht meine.
So zögere ich mittlerweile nur noch Bruchteile einer Sekunde, ehe ich ein MRT-Kopf und Lumbalpunktion bei einem 88-jährigen dementen Patienten anordne, der die Indikationen (Schwindel, Ataxie) erfüllt, und bei dem die Familie diese Testsdurchgeführt haben will. Denn der hinter der Familie stets mir zuwinkende Rechtsanwalt würde im Gerichtssaal bei übersehener Meningiosis carcinomatosa oder
Normaldruckhydrozephalus mir nicht freundlich auf die Schulter klopfen, weil ich Ressourcen zu Gunsten der Gesellschaft gespart habe, sondern mir einen Strick wegen nicht gestellter Diagnose drehen.
Als Facharzt in den USA habe ich diese Lektion mittlerweile gut gelernt, nämlich daβ der vor mir sitzende Patient mit all meinem Wissen und Können, all den technologischen Möglichkeiten zu behandeln ist. Maximalmedizin bis zum letzten, so lautet die Maxime. Es ist nicht meine Aufgabe, ein kaputtes Gesundheitssystem zu reparieren und auch nicht meine Aufgabe als einzelner Arzt die Ressourcen der Gesellschaft auf einzelne Patienten zu verteilen. Weiterhin ist es nicht meine Aufgabe als Arzt dafür zu sorgen, daβ ein Krankenhaus Gewinn macht oder bankrott geht – das sollte völlig irrelevant in meiner täglichen Arbeit sein. Am Ende zählt nur, daβ ich jeden einzelnen Patienten als Individuum wahrnehme und ihn mit allen mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten therapiere und behandele.
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