Studie offenbart hohe Prävalenz sexuellen Fehlverhaltens durch Gesundheitsfachkräfte

Ulm/Mainz/Leipzig – Grenzüberschreitungen und sexuelle Übergriffe durch Angehörige der Heilberufe sind auch in Deutschland ein Problem. In einer ersten repräsentativen Beobachtungsstudie berichteten bis zu 4,5 Prozent der 2.503 Befragten über professionelles sexuelles Fehlverhalten (PSM), Täter waren meist Ärzte. Die Ergebnisse sind in Epidemiology and Psychiatric Sciences erschienen (2021; DOI: 10.1017/S2045796021000378).
56 (4,5 Prozent) der Teilnehmerinnen und 17 (1,4 Prozent) der Teilnehmer haben eigenen Angaben zufolge bereits Erfahrungen mit PSM durch medizinische Fachkräfte gemacht. Über sexuelle Kontakte berichteten 28 weibliche und zehn männliche Teilnehmer. Ein Drittel der sexuellen Kontakte betraf Jugendliche vor ihrem 18. Lebensjahr. Ebenfalls ein Drittel gab an, dass die sexuellen Übergriffe gegen ihren Willen stattfanden.
40 (3,2 Prozent) weibliche und acht (0,6 Prozent) männliche Teilnehmer berichteten über unnötige körperliche Untersuchungen, 31 weibliche und sieben männliche Teilnehmer fühlten sich sexuell belästigt. Die Mehrzahl der sexuellen Übergriffe fand im ambulanten Bereich statt. Die meisten Täter waren männlich.
Als Täter von PSM nannten die Befragten meist Ärzte: 13 (36 Prozent) berichteten über sexuelle Kontakte mit Ärzten, 14 über sexuelle Belästigung, 27 (60 Prozent) über unnötige körperliche Untersuchungen. Krankenpflegekräfte nannten acht (22 Prozent) der Betroffenen als Täter und sieben (19 Prozent) Psychotherapeuten. Die Rücklaufquote der 5.668 angefragten Haushalte lag unter 50 Prozent.
Die Studienautoren weisen auf eine Studie aus dem Jahr 2010 hin, die zeigen konnte, dass Menschen, die sexuelles Fehlverhalten erfahren, dies häufig aufgrund von Schuldgefühlen, Scham, Angst und Ohnmacht nicht offenbaren können.
Machtgefälle begünstigt sexuelle Übergriffe
Starke Hierarchien und von Intimität geprägte Beziehungen, wie in der Arzt-Patienten-Beziehung begünstigen sexuelle Grenzverletzungen (National Academies of Sciences and Medicine 2018). Die Ausnutzung von Machtgefällen wird jedoch oft nicht als solche verstanden - vor allem von der Person, die die Machtposition innehat. Gleichzeitig würde die Verletzlichkeit des anderen oft als freiwilliges Handeln missverstanden, erläutern Autoren aus Canada in einer Studie aus dem Jahr 2020.
Seit der Gründung von #MeToo (2017) und der größeren MeToo-Bewegung, die 2006 von der amerikanischen Aktivistin Tarana Burke ins Leben gerufen wurde, berichten Millionen von Menschen online von sexuellen Übergriffen und sexuellem Missbrauch.
Als Folge haben auch Studien zur sexuellen Belästigung von Fachkräften im Gesundheitswesen, etwa durch Vorgesetzte, Kollegen oder Patienten, zugenommen. Eine systematische Untersuchung von PSM gegenüber Patienten fehlte bisher jedoch.
Die Autoren der aktuellen Studie sprechen sich für mehr Präventionsmaßnahmen zur Sensibilisierung für PSM aus. Konzepte zum Schutz von Patienten seien erforderlich.
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