Suizidale Krisen bei unipolarer Depression: Aussagekräftige Studien nur zur Verhaltenstherapie

Köln – Rund 10.000 Menschen nehmen sich in Deutschland jährlich das Leben, viele davon sind an einer Depression erkrankt. Bei dieser Gruppe ist die Suizidrate etwa 20-mal höher als im Durchschnitt der Bevölkerung. Diese Zahlen stammen vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), das eine Arbeitsgruppe der Technischen Universität (TU) Berlin beauftragt hat, zu untersuchen, ob es nichtmedikamentöse Maßnahmen in der ambulanten Versorgung gibt, die Menschen mit einer unipolaren Depression helfen können, suizidale Krisen zu bewältigen.
Die Wissenschaftler der TU haben nun festgestellt, dass ausschließlich die Wirkung der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) in aussagekräftigen Studien untersucht wurde. Gesucht wurde nach Studien, die ambulante Angebote der Krisenintervention, auch psychosoziale, unter anderem im Vergleich zu einer Standardbehandlung wie Arzneimitteltherapie oder Klinikaufenthalte analysieren. Bestimmte Formen der KVT können demnach depressive Symptome und Hoffnungslosigkeit vermindern.
Zu diesem vorläufigen Basisbericht bittet das IQWIG bis zum 3. Mai um schriftliche Stellungnahmen. Es handelt sich dabei um ein sogenanntes Health Technology Assessment (HTA) in dem durch Gesetzesauftrag 2016 gestarteten IQWiG-Verfahren „ThemenCheck Medizin“.
Depressionen noch immer stigmatisiert
Die Autoren der TU Berlin kommen in dem Basisbericht zu der Erkenntnis, dass Menschen mit Depressionen noch immer stigmatisiert sind, obwohl in Deutschland immerhin rund ein Zehntel der Bevölkerung daran erkrankt ist. Häufig scheuten sich Betroffene auch deshalb, Hilfsangebote wie etwa Psychotherapie in Anspruch zu nehmen.
Depressive Störungen werden bei Männern seltener diagnostiziert als bei Frauen. Männliche Patienten mit einer Depression haben allerdings ein höheres Suizidrisiko als weibliche. Das Suizidrisiko ist zudem erhöht, wenn es sich um eine schwere Depression handelt, wenn die Patienten bereits Suizidversuche unternommen und wenn sie noch weitere Erkrankungen haben.
Erhebliche Diskontinuität zwischen stationärer und ambulanter Betreuung
Die Analyse des Versorgungsgeschehens ergab, dass die Betroffenen bei einem drohenden oder versuchten Suizid meist zunächst in einer Klinik psychiatrisch behandelt werden, in der Regel auch medikamentös.
Da das Risiko erneuter Suizidversuche kurz nach der Entlassung am höchsten ist, sollte sich eine ambulante Betreuung unmittelbar anschließen. Allerdings sei das in der Versorgungsrealität häufig nicht der Fall, stellten die Autoren des Basisberichts fest. Vielmehr bestehe eine erhebliche Diskontinuität zwischen stationärer und ambulanter Betreuung. Zudem konstatierten sie ein erhebliches Stadt-Land-Gefälle in Bezug auf die Inanspruchnahme ambulanter Psychotherapie.
Kognitive Verhaltenstherapie am besten untersucht
In der Recherche fanden die Autoren insgesamt vier randomisierte kontrollierte Studien (RCT), in denen zwischen 2005 und 2017 insgesamt 369 Probandinnen und Probanden in den USA, Australien und Großbritannien behandelt und beobachtet worden waren.
In drei Studien wurde ein Therapiekonzept der sogenannten zweiten Welle der KVT (etwa seit den 1970er-Jahren in der Versorgung) angewendet. Lediglich in der britischen Studie, an der nur 28 Betroffene teilgenommen hatten, war es eine der dritten Welle zurechenbare Therapie (seit den 1990er-Jahren).
Weniger depressive Symptome und Hoffnungslosigkeit
Für die Therapien der zweiten Welle liefern diese Studien Hinweise auf Vorteile im Hinblick auf das Vermindern von depressiven Symptomen und Hoffnungslosigkeit sowie von Suizidgedanken und Suizidversuchen, sagen die Autoren der TU-Arbeitsgruppe. Am besten ist die Beleglage für den Zeitpunkt sechster Monat nach dem Therapiebeginn.
Einen positiven Langzeiteffekt, nämlich für die zusammengefassten Erhebungszeitpunkte 18 und 24 Monate, zeigen die Daten für die (erneuten) Suizidversuche. Für die Therapie der dritten Welle schätzt die die Studienlage generell als unzureichend ein.
Die schriftlichen Stellungnahmen zu dem Basisbericht werden ausgewertet und gegebenenfalls in einer mündlichen Anhörung mit den Stellungnehmenden diskutiert. Danach wird der Bericht finalisiert. Alle Dokumente werden auf der Website „ThemenCheck-Medizin.iqwig.de“ veröffentlicht sowie an den Gemeinsamen Bundesausschuss und das Bundesgesundheitsministerium übermittelt.
Zu den Besonderheiten des ThemenCheck Medizin gehört, dass die Fragestellungen der Berichte immer auf Vorschläge aus der Bevölkerung zurückgehen. Das IQWiG sammelt diese und ermittelt in einem zweistufigen Auswahlverfahren pro Jahr bis zu fünf Themen, zu denen HTA-Berichte erstellt werden. Es sei jederzeit möglich, Vorschläge für neue Themen einzureichen, heißt es aus dem IQWIG.
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