Telemedizin könnte Versorgungslücken schließen

Berlin – Ein stärkerer Einsatz von Telemedizin könnte Versorgungslücken, die in Baden-Württemberg durch die geplante Krankenhausreform entstehen, nahezu vollständig kompensieren. Zu diesem Ergebnis kommt eine Machbarkeitsstudie, die das Softwareunternehmen Bindoc im Auftrag des Bosch Health Campus durchgeführt hat.
Die Untersuchung beschränkt sich dabei aufgrund des hohen manuellen Nachprüfungsaufwands bei der Analyse auf die beiden Leistungsgruppen 1.1 Allgemeine Innere Medizin und 9.1 Allgemeine Chirurgie. Diese beiden Gruppen würden rund 40 Prozent der stationären Fälle in Deutschland ausmachen.
Die Autorinnen und Autoren sind in mehreren Schritten vorgegangen: Zuerst haben sie die stationäre Versorgungssituation in Baden-Württemberg analysiert und dann Gebiete mit Defiziten ermittelt, die durch die geplante Krankenhausreform entstünden. Daraufhin wurde auf Grundlage eines Modells der telemedizinischen Aktivierung eruiert, in welchen Gebieten durch stärkeren Einsatz von Telemedizin diese Defizite reduziert oder eliminiert werden könnten.
Unter telemedizinischer Aktivierung verstehen die Autoren dabei den Einsatz von Telemedizin durch potenzielle sektorübergreifende Versorgungseinrichtungen – die Level-1i-Krankenhäuser – oder sonstige Krankenhäuser mit dem Ziel, ursprünglich nicht angebotene Leistungsgruppen durch Zuschaltung erbringen zu können.
Das Potenzial der Telemedizin könne dann in der Analyse durch den Anteil der Bevölkerung ausgedrückt werden, dessen Fahrzeit zum nächsten Krankenhaus durch telemedizinische Unterstützung verbessert wird.
321.770 Einwohner gelten als unterversorgt
Mit Blick auf die Allgemeine Innere Medizin ergab sich dabei, dass vor der Krankenhausreform 97 Prozent der Bevölkerung in Baden-Württemberg in der definierten Fahrtzeit von maximal 30 Minuten einen der 129 Klinikstandorte erreichen können, der diese Leistungsgruppe anbietet. Die restlichen drei Prozent, insgesamt 321.770 Einwohner, gelten demnach als unterversorgt.
Nach Einführung der Qualitätskriterien der Krankenhausreform würden noch 93 Krankenhäuser die Leistungsgruppe 1.1 anbieten können. Diese Häuser würden noch von 94 Prozent der Bevölkerung in 30 Minuten oder weniger erreicht.
Der Anteil der unterversorgten Bevölkerung würde sich demnach auf sechs Prozent beziehungsweise 686.252 Personen mehr als verdoppeln. Davon wären insbesondere ländliche Regionen betroffen, vor allem die Bevölkerung des mittleren und nördlichen Schwarzwalds.
Im dritten Schritt wurde dann simuliert, dass 16 Klinikstandorte, davon elf Level-1i-Häuser, telemedizinisch aktiviert werden, sodass 109 – statt wie bisher 93 – Krankenhäuser die Leistungsgruppe Allgemeine Innere Medizin anbieten können. Dadurch verbessere sich die Fahrtzeit für 364.092 Personen im Vergleich zum vorherigen Szenario.
Dies entspreche einer Verbesserung für 3,28 Prozent der gesamten Bevölkerung von Baden-Württemberg. „Die Folgen der Krankenhausreform können hierdurch fast vollständig kompensiert werden“, heißt es in der Studie. Zudem sei der Ressourcenbedarf im Vergleich zum Status Quo geringer.
Zu sehr ähnlichen Befunden gelangt die Studie bei der Allgemeinen Chirurgie: Hier seien derzeit drei Prozent der Bevölkerung oder 388.586 Menschen nicht imstande, in maximal 30 Minuten eine der 129 Krankenhäuser zu erreichen, die diese Leistungsgruppe anbieten. Auch hier sind wieder ländliche Regionen besonders betroffen.
Die Auswirkungen der Krankenhausreform wären den Berechnungen zufolge noch größer: Acht Prozent der Bevölkerung oder 860.559 Personen hätten demnach mit einer längeren Fahrtzeit als 30 Minuten zu rechnen, um einen Klinikstandort zu erreichen, der die Leistungsgruppe anbietet. Somit würden 471.973 Personen mehr als unterversorgt gelten.
Diesmal wurden im dritten Szenario 18 Standorte, unter ihnen 9 sektorübergreifende Versorgungseinrichtungen, telemedizinisch aktiviert. Dadurch würden 107 Häuser die Leistungsgruppe Allgemeine Chirurgie anbieten. Das würde die Fahrtzeit im Vergleich zum vorherigen Szenario für 420.071 Menschen verkürzen.
Das entspreche einer Verbesserung für 3,78 Prozent der gesamten Bevölkerung. Erneut sei es demnach möglich, die negativen Auswirkungen der Krankenhausreform auf die Anfahrtszeiten bei gleichzeitiger Verringerung des Ressourcenbedarfs fast vollständig zu kompensieren.
Die Ergebnisse würden deutlich zeigen, „dass telemedizinische Kompensationsleistungen das Potenzial haben, die Erreichbarkeit und damit die Versorgungssituation in Baden-Württemberg signifikant zu verbessern“, heißt es in der Studie. Das gelte insbesondere für ländliche Regionen.
Mit Blick auf weitere Leistungsgruppen, die nicht in der Studie betrachtet wurden, zeige sich ein breites Potenzial der Telemedizin: Für Leistungsgruppen mit ohnehin guter Versorgungssituation unterstütze sie die Erfüllung der Qualitätskriterien, bei Leistungsgruppen mit schlechter Versorgungslage könne sie dazu beitragen, ressourcenschonend einen deutlich größeren Anteil der Bevölkerung zu erreichen und somit zu einer umfassenderen Versorgung beitragen.
Die Integration von Telemedizin in die stationäre Gesundheitsversorgung stelle deshalb nicht nur eine sinnvolle Ergänzung dar, sondern sei in vielen Fällen unerlässlich, um eine flachendeckende, qualitativ hochwertige medizinische Versorgung sicherzustellen.
„Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Telemedizin ein fester Bestandteil in der Versorgung werden sollte, damit eine patientengerechte, wohnortnahe Behandlung auch in Zukunft möglich sein wird“, sagte Mark Dominik Alscher, Geschäftsführer des Bosch Health Campus. „Das Potenzial, durch Telemedizin Versorgungslücken in Baden-Württemberg fast vollständig zu schließen und dabei noch Ressourcen einzusparen, dürfen wir nicht ungenutzt lassen.“
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