Transkranielle Magnetstimulation: Schlaganfalltherapie individualisieren

Hamburg – Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) könnte die Schlaganfalltherapie im klinischen Alltag zukünftig weiter individualisieren und Vorhersagen über das Outcome erlauben. Davon sprachen Experten im Rahmen der Auftaktpressekonferenz zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie (DGKN).
So lässt sich mithilfe eines TMS-Elektroenzephalogramms (TMS-EEG) möglicherweise die Wahrscheinlichkeit eines Post-Stroke-Delirs (PSD) vorhersagen. Zu diesem Ergebnis kommt eine im vergangenen Dezember veröffentlichte Querschnittstudie (Clinical Neurophysiology, 2022, DOI: 10.1016/j.clinph.2022.11.017). So hatten Personen, die im Verlauf eine PSD entwickelten, eine veränderte Reizantwort auf eine TMS, als Personen ohne PSD.
„Diese Daten sind von potenziell erheblicher Bedeutung, da das Post-Stroke-Delir bei etwa 30 Prozent aller Schlaganfallpatienten und -patientinnen auftritt und mit einer signifikanten Verschlechterung des Gesundheitszustands assoziiert ist“, sagte Ulf Ziemann, Co-Autor der Studie und ärztlicher Direktor der Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen am Universitätsklinikum Tübingen mit Schwerpunkt neurovaskuläre Erkrankungen. Eine erhöhte Mortalität und verlängerte Krankenhausaufenthalte gehören zu den Folgen des PSD (Stroke, 2012, DOI: 10.1161/STROKEAHA.111.643726).
Hohes Delir-Risiko bei verminderten Reizantworten
„Wir haben herausgefunden, dass Patienten mit einer niedrig komplexen Antwort genau diejenigen sind, die ein hohes Risiko haben, ein Delir zu entwickeln,“ erklärte Ziemann. Der maximale sogenannte Perturbational Complexity Index (PCI) war der stärkste Prädiktor für ein PSD (Chi2Stat = 26,08; p < 0,001).
Beim PCI handelt es sich um die Komplexität der Gehirnantwort nach einer Magnetstimulation. Sie dient als Indikator für Bewusstsein – im Wachzustand zeigt der Mensch normalerweise komplexere Aktivitätsmuster. Neben einer geringeren PCI hatten die 14 Personen mit einem PSD im Verlauf auch eine geringere Erregbarkeit, eine geringere effektive Konnektivität sowie eine verminderte Eigenfrequenz im EEG.
Die Forschenden aus Tübingen hatten dafür bestimmte Hirnareale von 33 Personen innerhalb von 48 Stunden nach Beginn eines Schlaganfalls untersucht: dorsolateraler präfrontaler Cortex, primärer Motorkortex und oberer Parietallappen.
„Die TMS-EEG-Untersuchung kann zukünftig für präventive Strategien bei hohem Delir-Risiko eingesetzt werden“, ist Ziemann überzeugt. „Wenn man vorher weiß, dass ein individueller Patient hochwahrscheinlich ein Delir entwickeln wird, dann könnte man intensive Ressourcen einsetzen, um das möglichst, beispielsweise mit Pharmakotherapien, zu verhindern.“ Auch für die Diagnostik und die Prognose anderer Netzwerkerkrankungen des Gehirns, wie Bewusstseinsstörungen, könnten Anwendungsgebiete der TMS sein.
Ziemann und seine Arbeitsgruppe erforschen in Tübingen auch, ob die TMS für die Motorik nach einem Schlaganfall nützlich sein kann. Der Klinikdirektor der Neurologie an der Universitätsklinik Frankfurt Christian Grefkes-Herman untersucht ebenfalls, wie sich motorische Netzwerke nach einem Schlaganfall verändern und wie man mit TMS gegensteuern kann. Dafür gibt es hier eine eigene TMS-Ambulanz. Eine solche will Grefkes-Hermann auch in der Uniklinik Frankfurt bis Ende 2023/ Anfang 2024 aufbauen, wie er dem Deutschen Ärzteblatt mitteilte.
Motorik gezielt und individuell mit TMS verbessern
Grefkes-Hermann zufolge lässt sich mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) eine Vorhersage über das motorische Outcome von Patienten nach einem Schlaganfall treffen und mit der TMS gezielt gegensteuern.
Mit einer vorangegangenen MRT oder eines direkt am Patientenbett aufgezeichneteten EEGs lassen sich hypoaktive Hirnareale erkennen und gezielt stimulieren. Aktuell wird das Verfahren vor allem in Studien eingesetzt. Grefkes-Hermann ist zuversichtlich, dass die TMS in den kommenden Jahren fester Bestandteil der Schlaganfalltherapie werden wird. Dafür gibt es an der Universitätsklinik Tübingen bereits eine eigene TMS-Ambulanz. Eine solche will Grefkes-Hermann auch an der Universitätsklinik Frankfurt bis Ende 2023/ Anfang 2024 aufbauen, wie er dem Deutschen Ärzteblatt mitteilte.
In der fMRT von Schlaganfallpatienten zeigen sich Aktivitätsveränderungen sowohl in der betroffenen als auch in der kontralateralen Hemisphäre. Eine erhöhte Aktivität in beiden Hemisphären spricht zunächst für eine gute Erholung der motorischen Funktionen (Neurological Research and Practice, 2020; DOI: 10.1186/s42466-020-00060-6). Bleibt diese jedoch über längere Zeit bestehen, spricht das eher für eine schlechte Erholung.
Auch funktionelle Netzwerke spielen hier eine Rolle: „Besonders relevant für eine Funktionserholung nach einem Schlaganfall ist die Wiederherstellung der Kopplung zwischen dem prämotorischen Areal und den primären motorischen Arealen der betroffenen Hemisphäre“, erläuterte Grefkes-Hermann. Wenn von der gesunden Hemisphäre mit der Zeit dagegen vermehrt hemmende Einflüsse kommen, erholen sich die Patienten nicht so gut. „Das bietet direkte therapeutische Möglichkeiten, in die Netzwerkarchitektur einzugreifen.“
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