Medizin

Typ 1-Diabetes: Dualer SGLT-Inhibitor verbessert Langzeitblutzucker bei erhöhtem Ketoazidoserisiko

  • Freitag, 15. September 2017
/Ben Gingell, stock.adobe.com
Ben Gingell - stock.adobe.com

Denver – Der duale SGLT-Inhibitor Sotagliflozin, der die Glukoseresorption im Darm hemmt und die Ausscheidung über die Nieren fördert, hat in einer Phase 3-Studie Patienten mit Typ 1-Diabetes geholfen, ihren HbA1c-Wert zu optimieren. Es kam allerdings zu einer erhöhten Rate von Ketoazidosen und genitalen Infektionen, wie die im New England Journal of Medicine (2017; doi: 10.1056/NEJMoa1708337) veröffentlichten Ergebnisse zeigen.

Alle Patienten mit Typ 1-Diabetes benötigen Insulin. Die Hormonsubstitution, die heute als intensivierte Insulintherapie an die Nahrungsaufnahme angepasst wird, fördert jedoch die Neigung zu einer hyperkalorischen Ernährung. Viele Typ 1-Diabetiker sind deshalb übergewichtig und ein Drittel erreicht das Ziel eines HbA1c-Wertes von unter 7 Prozent nicht.

Eine zusätzliche Behandlung mit einem SGLT-Inhibitor könnte hier eine interessante Option sein. Die Wirkstoffe blockieren den Natrium/Glukose-Cotransporter (SGLT). Das sind Proteine, die die Passage von Glukose durch Zellmembranen ermöglichen. Es gibt zwei Varianten. Im Darm fördert SGLT 1 die Aufnahme von Glukose. In den Nieren wird der wichtige Energieträger mithilfe von SGLT 2 aus den Tubuli zurück ins Blut geholt. SGLT 2-Inhibitoren, die die Glukoseausscheidung über die Nieren fördern, sind seit einiger Zeit zur Behandlung des Typ 2-Diabetes zugelassen. In den USA wenden viele Diabetologen SGLT 2-Inhibitoren auch „off label“ bei Typ 1-Diabetikern an, um den HbA1c-Wert zu optimieren.

Sotagliflozin ist der erste Wirkstoff, der beide SGLT-Varianten hemmt. Der Hersteller strebt eine Zulassung beim Typ 1-Diabetes an, wo das Mittel in Kombination mit dem überlebenswichtigen Insulin eingesetzt werden soll – eine Monotherapie mit Sotagliflozin wäre tödlich, da die Glukose ohne Insulin nicht von den Zellen aufgenommen werden kann.

An der „inTandem3-Studie, eine von drei zulassungsrelevanten Studien, nahmen an 133 Zentren in 19 Ländern 1.402 Typ-1-Diabetiker teil, deren HbA1c-Wert trotz Insulintherapie über 7 Prozent lag. Etwa 70 Prozent der im Mittel 44 Jahre alten Patienten waren übergewichtig, fast 30 Prozent hatten einen erhöhten Blutdruck.

Die Patienten wurden auf zwei Gruppen randomisiert, in denen sie neben der Insulintherapie pro Tag zwei Tabletten einnahmen, die 200 mg Sotagliflozin oder Placebo enthielten. Primärer Endpunkt war ein HbA1c-Wert von unter 7,0 Prozent ohne Auftreten von schweren Hypoglykämien oder Ketoazidosen. Dieses Ziel erreichten unter der Kombinationsbehandlung mit Sotagliflozin 200 von 699 Patienten (28,6 Prozent) gegenüber nur 107 von 703 Patienten (15,2 Prozent) unter alleiniger Insulinbehandlung.

Wie Satish Garg vom Anschutz Medical Campus in Denver und Mitarbeiter berichten, sank nicht nur der HbA1c-Wert (um 0,46 Prozentpunkte). Die Patienten verloren im Durchschnitt auch 2,98 Kilo an Gewicht, der systolische Blutdruck ging um 3,5 mmHg zurück und die mittlere tägliche Bolusdosis von Insulin konnte um 2,8 Einheiten pro Tag vermindert werden. Dies sind ingesamt günstige Begleiteffekte, die sich langfristig positiv auf die Diabeteskomplikationen auswirken könnten, was sich aber nach 24 Wochen Studiendauer aber noch nicht beurteilen lässt.

Die künstliche Glukoseverknappung im Blut, die Sotagliflozin auslöst, birgt jedoch auch Risiken. Sie bestehen weniger in der Gefahr von schweren Hypoglykämien, von denen in der Studie nur tendenziell mehr Patienten unter der Kombination mit Sotagliflozin betroffen waren (3,0 Prozent versus 2,4 Prozent). Die Anzahl der dokumentierten Blutzuckerabfälle auf unter 55mg/dl war bei Patienten, die Sotagliflozin einnahmen, sogar geringer.

Die größte Gefahr für die Patienten sind vielmehr Ketoazidosen. Diese Komplikation trat in der Sotagliflozin-Gruppe bei 21 Patienten (3,0 Prozent) auf gegenüber nur vier Patienten unter der alleinigen Insulintherapie auf. Ketoazidosen wurden auch bei „Off-Label“ von Typ 1-Diabetikern mit den zugelassenen SGLT2-Inhibitoren beobachtet – auch Typ 2-Diabetiker – waren betroffen. Die US-Arzneibehörde FDA hat hierzu bereits einen Warnhinweis veröffentlicht. 

Die Pathogenese der Ketoazidosen ist nicht ganz klar. Eine Vermutung geht dahin, dass der verminderte Insulinbedarf einen gegenregluatorischen Anstieg von Glukagon auslöst, das die Produktion von Ketonkörpern in der Leber steigert. Die Komplikation ist nicht ungefährlich, da viele Patienten die Entgleisung des Säure-Basen-Haushalts oft erst spät bemerken.

Das Ketoazidose-Risiko dürfte im Fall einer Zulassung sicherlich zu einem Warnhinweis führen. Die Patienten hätten zudem unter zwei weiteren störenden Nebenwirkungen zu leiden: Das Auftreten von Zucker im Urin (infolge der SGLT2-Inhibition) begünstigt genitale Pilzinfektionen: In der Studie waren 6,4 Prozent betroffen versus 2,1 Prozent in der Placebo-Gruppe. 

Der erhöhte Zuckergehalt im Stuhl kann eine abführende Wirkung haben. Über Durch­fälle klagten 29 Patienten (4,1 Prozent) in der Sotagliflozin-Gruppe gegenüber 16 Patienten (2,3 Prozent) in der Placebo-Gruppe. Insgesamt drei Patienten brachen die Therapie wegen dieser Nebenwirkung ab. Die Gesamtzahl der Studienabbrecher war mit 44 Patienten (6,3 Prozent) in der Sotagliflozin-Gruppe gegenüber 16 Patienten (2,3 Prozent) ebenfalls erhöht.

rme

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