Typ-1-Diabetes: Nach SARS-CoV-2-Infektionen häufiger Inselautoantikörper bei Kleinkindern

Dresden – Ungeimpfte Kleinkinder mit einem genetisch erhöhten Risiko auf einen Typ-1-Diabetes entwickelten in einer Beobachtungsstudie nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 deutlich häufiger Inselautoantikörper als nicht infizierte Kinder. Für das Influenzavirus war ein solcher Zusammenhang nicht nachweisbar.
Die im amerikanischen Ärzteblatt JAMA (2023; DOI: 10.1001/jama.2023.16348) publizierten Ergebnisse bestätigen eine Hypothese, nach der Viren ein Trigger für die Autoimmunreaktion sind, die einem Typ-1-Diabetes häufig um Jahre vorausgeht.
Die POInT-Studie („Primary Oral Insulin Trial“) hatte eigentlich ein anderes Ziel. Seit Februar 2018 wurden an Zentren in Belgien, Deutschland, Großbritannien, Polen und Schweden Kinder im Alter von vier bis sieben Monaten bis zum 3. Geburtstag täglich mit einem Insulin-Puder oder Placebo behandelt. Die Studie sollte prüfen, ob das oral zugeführte Hormon eine Sensibilisierung der Kinder verhindern kann.
Inselautoantikörper, die sich in den ersten Lebensjahren bilden, sind ein wichtiger Auslöser der Autoimmunerkrankung, die später zum Typ-1-Diabetes führt, wenn das Immunsystem die Beta-Zellen zerstört hat und die körpereigene Insulinproduktion versiegt.
Der Pathomechanismus ist unklar. Die Viren könnten die Betazellen infizieren und seine Struktur so verändern, dass sie vom Immunsystem als fremd angesehen werden, was eine Autoimmunreaktion auslösen würde. Alternativ könnten einige Teile des Virus der Struktur von Betazellen so ähnlich sein, dass das Immunsystem mit dem Virus versehentlich auch die insulinproduzierenden Zellen angreift.
Bei den 885 Teilnehmern der Studie wurden zu Studienbeginn und danach engmaschig Blutproben entnommen, um die Entwicklung der Autoimmunreaktion näher zu beobachten. Für die Studie wurden Kinder ausgewählt, die aufgrund von Erkrankungen in der Familie oder bestimmten HLA-Konstellationen ein geschätztes genetisches Risiko von mehr als 10 % hatten, an einem Typ-1-Diabetes zu erkranken.
Ein Team um Ezio Bonifacio vom „Center for Regenerative Therapies Dresden“ hat die Blutproben auf Antikörper gegen SARS-CoV-2 und das Influenza A-Virus untersuchen lassen.
Mit SARS-CoV-2 hatten sich bis März 2021 insgesamt 170 Kinder infiziert, also etwa jedes fünfte. Antikörper gegen Influenza A hatten 101 Kinder, wobei mehr als die Hälfte in die Zeit vor der Pandemie und den Kontrollmaßnahmen fiel, die zu einem weitgehenden Ausfall der Grippe-Wellen geführt haben.
Von den 170 Kindern hatten am Ende der Studie 60 Inselautoantikörper entwickelt, von denen jedes dritte mittlerweile an einem Typ-1-Diabetes erkrankt ist. Bei 6 der 60 Kinder traten die Inselzellantikörper zeitgleich mit den Antikörpern gegen SARS-CoV-2 auf, bei weiteren 6 Kindern wurden sie beim nächsten Kontrolltermin gefunden (es gab 6 Kontrollen in den ersten zwei Jahren). Dies war eine eindeutige Häufung.
Das Team um Bonifacio ermittelt eine adjustierte Hazard Ratio von 3,5, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,6 bis 7,7 statistisch signifikant war. Noch höher war das Risiko in den ersten 18 Lebensmonaten mit einer Hazard Ratio von 5,3 (1,5-18,3).
Bonifacio schätzt, dass seit Juli 2020 etwa 18 % aller Fälle mit Inselautoantikörpern auf Infektionen mit SARS-CoV-2 zurückzuführen waren. Für das Influenza A-Virus war keine Assoziation erkennbar. Entweder waren die Infektionen zu selten, oder aber der Grippeerreger gehört nicht zu den Viren, die eine Autoimmunreaktion gegen Inselzellen triggern können.
Die Gesamtinzidenz der Inselautoantikörper ist übrigens in der Pandemie nicht gestiegen. Bonifacio hält es für möglich, dass der Wegfall anderer Infektionen durch die Schutzmaßnahmen den Anstieg der (potentiellen) Diabeteserkrankungen durch SARS-CoV-2 wieder ausgeglichen hat. Andere Studien hatten dagegen einen Anstieg der Erkrankungen am Typ-1-Diabetes in Deutschland und weltweit beobachtet.
Die Studie wurde durchgeführt, als eine Impfung für Kleinkinder noch nicht empfohlen wurde. Die Studie kann deshalb die Frage, ob die Impfung der Kinder die Bildung der Inselautoantikörper verhindert und damit vielleicht vor einem Typ-1-Diabetes schützt, nicht beantworten.
Anette-Gabriele Ziegler vom Helmholtz Zentrum München, die an der Studie beteiligt war, hält dies für denkbar. Impfungen gegen Viren, die mit Inselzellautoimmunität assoziiert sind, könnten ein neuer Weg zur Prävention von Typ-1-Diabetes sein, erklärte die Diabetologin.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: