Weiter Unruhen in Serbien wegen Coronapolitik

Belgrad – Die inkonsequente Politik des serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic zur Bekämpfung der Coronapandemie hat gestern Abend zum zweiten Mal in Folge Unruhen im Zentrum der Hauptstadt Belgrad ausgelöst. Wie schon am Vorabend kam es zu Straßenschlachten zwischen Demonstranten und Bereitschaftspolizisten. 19 Beamte und 17 Demonstranten erlitten Verletzungen, berichtete der Fernsehsender N1 unter Berufung auf Krankenhausärzte.
Tausende protestierten gegen mögliche neue Einschränkungen des Alltags, die Vucic wegen der steigenden Ansteckungszahlen angekündigt hatte. Dabei hatte der Staatschef seine Ankündigung von vorgestern, eine Ausgangssperre über das gesamte kommende Wochenende zu verhängen, am Tag darauf wieder zurückgezogen. Demonstrationen gegen Vucic mit tausenden Teilnehmern fanden gestern Abend erstmals auch in anderen serbischen Großstädten statt, so etwa in Novi Sad, Nis und Kragujevac.
In Belgrad demonstrierten Tausende Menschen zunächst friedlich, wie Medien berichteten. Eine kleinere Gruppe militanter Demonstranten sonderte sich jedoch ab und suchte den Konflikt mit der Polizei. Sie warfen Steine und Feuerwerkskörper auf die Polizisten, diese trieben die Menge mit Tränengas und Schlagstöcken auseinander.
Fernsehsender zeigten Livebilder von chaotischen Szenen. Der Geruch von Tränengas hielt sich noch für Stunden in den Straßen der Innenstadt. Heute Morgen war die Lage wieder ruhig. Vorgestern Abend, dem ersten Protesttag, waren die Militanten sogar kurzzeitig ins Parlamentsgebäude eingedrungen, vor dem die Menschen demonstriert hatten. Die Polizei hatte sie damals ebenfalls unter Einsatz von Tränengas und Schlagstöcken von dort vertrieben.
Die Regierung versucht, die Proteste als „Putschversuch“ und als Ergebnis der angeblichen Wühlarbeit nicht näher bezeichneter ausländischer Mächte darzustellen. „All dies ist nur als nackte Gewalt zu bezeichnen, die darauf abzielt, die Macht zu übernehmen“, erklärte Innenminister Nebojsa Stefanovic in der Nacht zum Donnerstag.
Tatsächlich richten sich die Proteste gegen die inkonsequente und widersprüchliche Politik von Präsident Vucic bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Von Mitte März bis Anfang Mai hatte er einen Ausnahmezustand verhängt, der umfassende Ausgangssperren und drakonische Strafen für Verstöße gegen Bewegungsverbote und Quarantäneauflagen einschloss. Die Maßnahmen, die viel härter waren als etwa in den Nachbarländern Kroatien und Ungarn, waren unbeliebt, führten aber zu einer signifikanten Eindämmung der Pandemie.
Ende Mai hob Vucic den Ausnahmezustand auf und setzte die im April geplanten und verschobenen Parlamentswahlen für den 21. Juni an, die seine Regierungspartei SNS – unter dem Boykott der meisten Oppositionskräfte – haushoch gewann. Mit dem Ende des Ausnahmezustands fielen praktisch übergangslos alle bisherigen Einschränkungen.
Es gab Wahlkampf auf öffentlichen Plätzen, Fußballspiele vor bis zu 20.000 Zuschauern, die Nachtgastronomie durfte wieder öffnen. Seit etwa zwei Wochen stecken sich jedoch in Serbien wieder durchschnittlich 300 Menschen am Tag mit dem Virus an. Besonders die Hauptstadt Belgrad ist betroffen.
Vorgestern hatte Vucic davon gesprochen, dass dort die Krankenhäuser bereits an den Grenzen ihrer Kapazitäten angelangt seien. Für heute kündigte der Präsident die Bekanntgabe von neuen Anti-Corona-Maßnahmen an. Eine Ausgangssperre wie zur Zeit des Ausnahmezustands schloss er ausdrücklich aus.
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