Wie eine Rizin-Vergiftung rechtzeitig erkannt werden kann

Berlin – Vergiftungen mit Rizin, das im kalten Krieg von östlichen Geheimdiensten verwendet wurde und jüngst durch eine US-Fernsehserie bekannt wurde, sind in Wirklichkeit selten. Doch wenn sie auftreten, werden sie vermutlich häufig nicht erkannt, was das Robert-Koch-Institut (RKI) zu einem Ratgeber für Ärzte veranlasst.
In der Kriminalliteratur ist Rizin das perfekte Gift. Das Mittel ist leicht erhältlich. Weltweit sollen pro Jahr mehr als eine Million Rizinus-Samen verarbeitet werden. Es ist bereits in niedrigsten Konzentrationen tödlich. Die LD50 liegt bei 2 µg/kg Körpergewicht. Die Aufnahme von weniger als 2 mg kann zum Tod führen. Die Symptome treten erst mit Verzögerung auf, sie sind unspezifisch und das Gift ist im Körper nicht nachweisbar, wie Walter White seinem Mitarbeiter Jesse in Breaking Bad versichert.
Spektakulär war auch der Anschlag auf den bulgarischen Dissidenten Georgi Markow, der 1978 auf der Waterloo Bridge in London von Geheimdienstagenten durch eine Injektion getötet wurde, die mit einem präparierten Regenschirm erfolgte.
Außerhalb von Film- und Halbwelt sind Rizin-Intoxikationen jedoch äußerst selten. Dies liegt nicht nur am fehlenden Wissen und der geringen kriminellen Intelligenz der Allgemeinbevölkerung, sondern auch an dem Umstand, dass die vermutlich häufigste Vergiftung meist glimpflich verläuft: Bei einer oralen Aufnahme der rötlichbraun-marmorierten, bohnenförmigen Samen des Wunderbaum (Ricinus communis) passiert in der Regel nicht viel – selbst wenn ein Kind eine Bohne in den Mund genommen und runtergeschluckt haben sollte (die es vielleicht beim Stöbern in Schmuckgegenständen gefunden hat, wo die Samen wegen ihrer Marmorierung manchmal als Verzierung verwendet werden).
Aus der intakten „Bohne“ wird das Gift nur in geringer Menge freigesetzt. Nur wenn das Kind gut gekaut hat oder die Bohne lange im Magen lag, kann es zu einer vermehrten Freisetzung kommen. Doch die Absorption im Gastrointestinaltrakt ist gering. Es gibt laut RKI Fallbeschreibungen über sehr schwere Verläufe und Todesfälle. Generell sei die Sterblichkeitsrate nach oraler Rizin-Aufnahme sehr gering, auch wenn die Patienten Symptome zeigen.
Ein endoskopischer Bergungsversuch könne zwar in den ersten 60 Minuten unternommen werden (die Patienten sind in der Regel noch nicht symptomatisch), die Indikation sollte jedoch sehr streng gestellt werden, rät das RKI. Eine Darmspülung oder die Gabe von Laxanzien werden nicht empfohlen.
Die Beschwerden beginnen meist innerhalb der ersten sechs (selten zwölf) Stunden nach der oralen Aufnahme. Sie können wenige Stunden aber auch bis zu zwei Tage andauern. Die Symptome einer oralen Rizin-Intoxikation sind vor allem gastrointestinaler Natur. Es kann zu Übelkeit und Erbrechen, Durchfall sowie zu diffusen, aber auch kolikartigen abdominalen Schmerzen kommen. Die häufigste Komplikation bei oraler Rizin-Intoxikation ist ein Flüssigkeits- und Elektrolytverlust. Die Therapie besteht in einer engmaschigen Überwachung des Elektrolythaushaltes. Nur selten kommt es zu einer Hämolyse, die dann entsprechende Maßnahmen erfordert.
Bei einer schweren Intoxikation kann das Gift, das in den Zellen die Ribosomen inaktiviert, Leber und Nieren schädigen. Der Tod tritt durch Multiorganversagen ein. Solche Verläufe sind nach oraler Aufnahme selten. Nach einer Injektion des Giftes, die kaum versehentlich erfolgen dürfte und wohl auch wegen der Schmerzen an der Injektionsstelle nicht unbemerkt bliebe, kommt es rasch zu Symptomen. Fieber, Kopfschmerzen, Blutdruckabfall, erhöhte Herzfrequenz, Übelkeit und Erbrechen, Muskelschmerzen, Herzrhythmusstörungen sowie ein Multiorganversagen kennzeichnen einen raschen klinischen Verlauf. Der Tod tritt laut RKI meist innerhalb von 36 bis 48 Stunden ein.
Eine Aufnahme von Rizin über die Haut ist möglich. Laut dem RKI gibt es hierzu Fallberichte, wobei offen bleibt, ob das Gift von der intakten Epidermis resorbiert wurde oder über Mikroverletzungen der Haut aufgenommen wurde. Der Umgang mit Pflanzenteilen, Castor-Bohnen sowie daraus hergestellten Schmuckketten (insbesondere an den Stellen, wo die Samenschale zerstört wurde) dürfte nach Einschätzung des RKI selten zu schwerwiegenden Krankheitsverläufen führen. Eher ist mit lokalen Intoxikationserscheinungen oder allergischen Reaktionen zu rechnen (etwa Urtikaria, Erythem, Blasenbildung und Schmerzen).
Eine inhalative Aufnahme von Rizin als Aerosol ist vorstellbar. Rizin gehört zu den potenziellen biologischen Kampfstoffen. Doch die Anschläge, zu denen es 2003 und 2004 in den USA vermutlich durch einen frustrierten Besitzer eines LKW-Unternehmens kam, sind glimpflich ausgegangen. Mehrere Mitarbeiter der Post wurden dekontaminiert und ein Postgebäude zeitweise geschlossen. Erkrankt ist jedoch niemand.
Ob Rizin im Rauch einer Zigarette eine tödliche Wirkung entfaltet, wird weder aus den Dokumenten des RKI noch der Centers for Disease Control and Prevention ersichtlich. Einerseits würde die tiefe Inhalation für eine rasche Aufnahme des Giftes sorgen. Auf der anderen Seite müsste das Gift in der Glut der Zigarette freigesetzt und der dabei entstehenden Hitze standhalten können.
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