Wie Nikotin im Gehirn von Menschen mit Schizophrenie wirkt

Paris – Eine häufig mit der Schizophrenie assoziierte Genvariante löst bei Mäusen die für die Psychose charakteristische „Hypofrontalität“ aus, die für die neurokognitiven Negativsymptome der Psychose verantwortlich gemacht werden. Nikotin-Infusionen behoben die Störung. Die in Nature Medicine (2017; doi: 10.1038/nm.4274) publizierte Studie könnte erklären, warum viele Patienten mit Schizophrenie starke Raucher sind.
Das Gen CHRNA5 auf dem Chromosom 15 enthält die Information für einen Nikotinrezeptor, der (unter anderem) im präfrontalen Kortex, einem „Kommandozentrum“ des Gehirns, gebildet wird. Eine frühere Studie hatte gezeigt, dass Raucher häufig einen bestimmten Einzelnukleotid-Polymorphismus (SNP) im CHRNA5-Gen haben. Der gleiche SNP wurde später mit der Schizophrenie in Verbindung gebracht. Grund genug für ein Team um Uwe Maskos vom Institut Pasteur in Paris, die Auswirkungen dieser Genvariante auf das Verhalten zu untersuchen.
Die Forscher integrierten die Genvariante in das Genom von Mäusen und untersuchten ihr Verhalten. Zunächst führen sie einen Test durch, mit dem Psychiater manchmal die Diagnose einer Schizophrenie bestätigen: Bei der Präpulsinhibition wird gemessen, wie die Patienten auf Schrecksituationen reagieren. Geht dem Schreckreiz („pulse“) ein Präpuls von geringerer Intensität voraus, führt dies bei gesunden Menschen zu einer abgeschwächten Schreckreaktion. Nicht so bei Patienten mit Schizophrenie. Bei ihnen fehlt die Präpulsinhibition. Dieses Phänomen konnten die Forscher auch bei Mäusen mit der Genvariante beobachten.
In einem anderen Versuch („three-chamber social test“) wurden die Mäuse mit ihnen fremden Mäusen zusammengebracht. Gesunde Mäuse sind neugierig und beschnuppern den Fremden. Die Mäuse mit der Genvariante im Nikotinrezeptor zogen sich dagegen in eine leere Kammer zurück. Ein ähnliches Verhalten zeigen viele Patienten mit Schizophrenie. Lethargie und Interesselosigkeit gehören zu den Negativsymptomen der Erkrankung. Sie wurden in früheren Studien mit einem verminderten zerebralen Blutfluss (CBF) im präfrontalen Kortex in Verbindung gebracht. Die Hirnforscher sprechen von einer Hypofrontalität. Auch dieses Phänomen stellten die Forscher bei den Mäusen fest.
Anders als beim menschlichen Patienten konnten die Forscher im Tiermodell der Ursache für die Hypofrontalität auf den Grund gehen. Die Untersuchungen der Gehirne zeigten, dass der Defekt vermutlich auf der Ebene der Interneurone zu suchen ist. Diese Nervenzellen vernetzen im Kortex die größeren Pyramidenzellen. Auf den Interneuronen der Schichten II/III des Kortex gibt es sogenannte nikotinerge Rezeptoren. Normalerweise sind es Bindungsstellen für den Neurotransmitter Acetylcholin, der über die Aktivierung der Interneurone auch die Pyramidenzellen stimuliert. Die Genvariante, die bei Rauchern und bei Patienten mit Schizophrenie gefunden wurde, hat möglicherweise eine verminderte Aktivierung der Pyramidenzellen zur Folge, was die Hypofrontalität erklären könnte.
Nikotin aus dem Tabakrauch könnte bei diesen Personen die Hirnaktivität erhöhen. Bei den Mäusen konnte durch Nikotininfusionen in das Gehirn die normale Aktivität des Kortex wiederhergestellt werden. Patienten mit Schizophrenie versuchen möglicherweise, durch das Tabakrauchen die Symptome zu behandeln, die Folge der Hypofrontalität sind. Nikotin könnte deshalb für sie ein wirksames Medikament sein. Rauchen ist wegen der zahlreichen Verbrennungsprodukte des Tabaks jedoch eine äußerst nebenwirkungsreiche Behandlung. Eine Konsequenz der Studie könnten Therapieversuche mit Nikotinersatzpräparaten sein.
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