Medizin

Wie Rotwein, Blaubeeren und schwarzer Tee vor der Grippe schützen könnten

  • Montag, 7. August 2017
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St. Louis – Das Darmbakterium Clostridium orbiscindens, ein Verwandter des gefürch­teten Durchfallerregers C. difficile, kann Flavonoide aus Rotwein, Blaubeeren oder bestimmten Teesorten in Desaminotyrosin verstoffwechseln. Die Substanz hat in tierexperimentellen Studien die Produktion von Typ I-Interferonen angeregt und Mäuse vor tödlichen Grippe-Infektionen geschützt. Die Studie in Science (2017; 357: 498-502) wirft ein neues Licht auf die Bedeutung der Darmflora für die Infektionsabwehr, auch wenn die klinische Bedeutung für die Humanmedizin offen bleiben muss.

Frühere Studien hatten gezeigt, dass die Pathogenität von Influenza-Viren von der Darmflora beeinflusst wird. So sterben Mäuse häufiger an einer Grippe, wenn ihre Darmflora zuvor durch Antibiotika beseitigt wurde. Forscher der Washington University School of Medicine in St. Louis vermuten, dass die protektive Wirkung über das Immun­system vermittelt wird. Der Darm enthält die größte Ansammlung von Immunzellen des Körpers, und die Darmbakterien sind maßgeblich daran beteiligt, die Abwehrzellen für ihre Aufgabe der Infektabwehr auszubilden. Dabei spielt die Aktivierung von Typ I-Interferonen eine wichtige Rolle, die von verschiedenen Körperzellen als Reaktion auf Virusinfektionen gebildet werden.

Mäuse, die aufgrund eines Gendefekts vermehrt Typ I-Interferone bilden, zeigten in den Experimenten, die das Team um Thaddeus Stappenbeck durchführte, eine vermehrte Resistenz gegen Influenza-Infektionen. Eine ähnliche Schutzwirkung wie die Gene entfalteten in weiteren Experimenten Darmbakterien. Da die Bakterien nicht die Lunge, die Eintrittspforte der Influenza-Viren, erreichen, muss es eine vermittelnde Substanz geben. 

Die Forscher suchten deshalb systematisch nach Stoffwechselprodukten der Darm­bakterien, die in der Lage sein könnten, die Produktion von Typ I-Interferonen zu fördern. Bei ihren Laboruntersuchungen wurde Desaminotyrosin identifiziert, ein Stoffwechselprodukt der Flavonoide. Flavonoide sind eine Gruppe von Pflanzenfarb­stoffen, die in Petersilie, Blaubeeren, schwarzem Tee, Zitrusfrüchten und prominenterweise auch in Rotwein enthalten sind.

Weitere Experimente zeigen, dass die orale Gabe von Desaminotyrosin Mäuse vor einer Influenza schützt. Sie bewahrte die Tiere vor einem sicheren Grippetod, der sie erwartete, wenn ihre Darmflora vor der Infektion durch einen Antbiotika-Cocktail aus Vancomycin, Neomycin, Ampicillin und Metronidazol ausradiert wurde. Desamino­tyrosin vermittelte offenbar die Schutzwirkung der Darmflora.

Es gibt nur wenige Darmbakterien, die in der Lage sind, Flavonoide abzubauen. Dazu gehört Clostridium orbiscindens. Dieser normale Darmbewohner reagiert empfindlich auf Vancomycin und Metronidazol, was erklären könnte, warum Antibiotika-Behand­lungen (bei Mäusen) die Pathogenität einer Grippe erhöhen. 

Welche Bedeutung diese Entdeckung für die klinische Medizin hat, ist unklar. Eine Idee wäre die präventive Behandlung mit Desaminotyrosin (was die Nebenwirkungen von Rotwein vermeiden würde). Mäuse überlebten tatsächlich die für sie normalerweise tödliche Grippe, wenn sie zuvor eine Woche lang mit Desaminotyrosin behandelt wurden. Wurde die Behandlung erst zwei Tage nach der Infektion mit den Influenza-Viren begonnen, blieb sie wirkungslos. Die Mortalität war dann laut Stappenbeck sogar erhöht. Eine andere Konsequenz könnte die Vermeidung unnötiger Antibiotika­behandlungen sein. 

Es fehlt allerdings weitgehend an epidemiologischen Daten, die eine erhöhte Anfälligkeit von Menschen für grippale Infekte nach Antibiotikabehandlungen zeigen. Eine protektive Wirkung von Desaminotyrosin müsste zunächst in klinischen Studien untersucht werden. Die Nutzen-Schadenbilanz von Rotwein dürfte eher negativ ausfallen. Gegen eine gesunde ausgewogene Ernährung mit anderen Flavonoid-haltigen Nahrungsmitteln dürfte nichts einzuwenden sein.

rme

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