Medizin

Wie Stress die Haare ergrauen lässt

  • Freitag, 24. Januar 2020
/martina87, stock.adobe.com
/martina87, stock.adobe.com

Cambridge/Massachusetts – Nicht das Stresshormon Cortisol aus der Nebenniere, sondern die direkte Stimulation der Stammzellen in den Haarfollikeln durch den Neurotransmitter Noradrenalin ist nach einer Studie in Nature (2020; doi: 10.1038/s41586-020-1935-3) für die Achromotrichie verantwortlich, die sich bei den meisten Menschen im reiferen Alter früher oder später einstellt.

Es heißt, Marie-Antoinette sei nach ihrer Verurteilung zum Tod durch die Guillotine über Nacht ergraut. Der US-Senator John McCain machte seine Gefangennahme im Vietnam­krieg publikumswirksam für seine grauen Haare verantwortlich. Fotos zeigen, dass Barack Obama, aber auch andere Staatsführer im Amt ergraut sind.

Einzelfälle sind kein Beweis. Eine Achromotrichie kann verschiedene Ursachen haben. Neben einer genetischen Prädisposition (Alopecia areata) und Ernährungsstörungen (Alkohol, Zinkmangel) gehört auch Stress zu den Faktoren, die in epidemiologischen Studien mit einem frühen Ergrauen der Haare assoziiert waren.

Ein Team um Ya-Chieh Hsu vom Harvard Stem Cell Institute in Cambridge/Massachusetts hat jetzt den Einfluss von Stress an Mäusen systematisch untersucht. Die Tiere wurden 3 verschiedenen Stressfaktoren – Schmerz, Bewegungseinschränkung und psychischem Stress – ausgesetzt. Jeder Stressor führte zu einer Achromotrichie.

Der Störung liegt eine Erschöpfung der Stammzellreserven in den Haarfollikeln zugrunde. Jedes der etwa 100.000 Haarfollikel der menschlichen Kopfhaut hat einen genetisch festgelegten Vorrat an Melanozyten-Stammzellen. Aus ihnen entwickeln sich Melano­zyten, die den Farbstoff Melanin für die Haarproduktion liefern. Mit der Zeit erschöpft sich der Vorrat an Stammzellen. Wenn sie aufgebraucht sind, sind die Haare weiß.

Zunächst gingen die Forscher davon aus, dass das Stresshormon Cortisol für das Ergrauen verantwortlich ist. Doch die Entfernung der Nebennieren, wo dieses zentrale Stress­hormon gebildet wird, verhinderte das stressbedingte Ergrauen nicht. Auch eine Blockade des Immunsystems hatte keine präventive Wirkung. Dies schließt aus, dass der Stress eine Autoimmunerkrankung auslöst.

Die Forscher fanden jedoch heraus, dass die Melanozyten-Stammzellen beta2-adrenerge Rezeptoren exprimieren, die Bindungsstellen für den Neurotransmitter Noradrenalin. Er ist Bestandteil des sympathischen Nervensystems, das den Körper innerhalb von Sekun­den auf eine Abwehrreaktion vorbereitet. Tiere, denen die Rezeptoren für Noradrenalin fehlten, ergrauten unter Stresseinfluss nicht.

Dieser Befund war zunächst verwirrend, da Noradrenalin wie Cortisol in den Nebennieren produziert wird, deren Entfernung das Ergrauen nicht verhindert hatte. Noradrenalin wird allerdings auch von den Neuronen des sympathischen Nervensystems als Neurotrans­mitter freigesetzt, und die Haarfollikel werden von den Auslegern des autonomen Ner­ven­­systems erreicht.

Die Ausschüttung von Noradrenalin aus den Nerven lässt sich durch den Wirkstoff Guanethidin blockieren, der früher als Hochdruckmedikament eingesetzt wurde. Tatsäch­lich ergrauten Tiere, die mit Guanethidin behandelt wurden, unter Stresseinfluss nicht.

Guanethidin könnte damit im Prinzip genutzt werden, um das stressbedingte Ergrauen im Alter zu vermeiden. Das Mittel wird jedoch nicht ohne Grund heute nicht mehr zur Hoch­druck­behandlung eingesetzt. Zu den Nebenwirkungen gehören Ödeme, Impotenz und eine verstopfte Nase. Hinzu kommen mögliche schwere Komplikationen wie Synkopen durch Bradykardie und Blutdruckabfall.

Es erscheint unwahrscheinlich, dass Guanethidin als Mittel gegen Achromotrichie erfolgreich wäre, zumal es vermutlich präventiv eingesetzt werden müsste. Wenn die Melanozyten-Stammzellen erst verbraucht sind, käme die Behandlung vermutlich zu spät.

rme

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung