Politik

„Wir haben es in der Hand, für eine aids-freie Generation zu sorgen“

  • Montag, 5. Dezember 2011

Kurz vor dem Weltaidstag am 1. Dezember hat das Aktionsbündnis gegen Aids seine Kampagne „In9Monaten.de“ vor dem Bundestag vorgestellt. Zusammen mit acht Mitgliedern des Deutschen Bundestags aus vier Fraktionen will das Bündnis die Aufmerksamkeit der Bundesregierung auf deren Verantwortung im Kampf gegen Aids lenken. Über die Hintergründe der Aktion sprach das Deutsche Ärzteblatt mit der Direktorin des Deutschen Instituts für ärztliche Mission (Difäm), dem Rechtsträger des Aktionsbündnisses gegen Aids.

Fünf Fragen an Gisela Schneider

Gisela Schneider
Gisela Schneider

DÄ: Worum geht es in Ihrer Kampagne „In9Monaten.de“?
Schneider: Weltweit werden jedes Jahr 390.000 Kinder mit HIV geboren, weil sie sich bei  ihrer Mutter angesteckt haben. Diese Kinder sind auf eine lebenslange Therapie angewiesen, die in den meisten Fällen überhaupt nicht zur Verfügung steht. Wir wollen erreichen, dass bis zum Jahr 2015 keine Babys mehr mit HIV geboren werden.

Deshalb wollen wir die Bundesregierung an ihre Verpflich­tungen erinnern, die sie bereits zugesagt hat, wie zum Beispiel die UN-Verpflichtungserklärung zu HIV/Aids aus dem Jahre 2001. Mit unserer Aktion vor dem Deutschen Bundestag wollten wir die Regierung an dieses und andere Versprechen erinnern. Wir haben es heute in der Hand, für eine Aids-freie nächste Generation zu sorgen. Das können wir aber nur erreichen, wenn auch die nötigen Mittel dazu zur Verfügung gestellt werden.

DÄ: Wo sind heute die Probleme mit HIV/Aids am größten?

Schneider: Am größten ist die Epidemie nach wie vor in dem Teil Afrikas, der südlich der Sahara liegt. Fast 23 Millionen Menschen leben dort mit HIV. Wir haben dort aber auch schon viel erreicht, die Neuinfektionsraten sind gerade in Ost- und Zentralafrika deutlich rückläufig. Ein epidemisches Wachstum verzeichnen wir in Osteuropa und Zentralasien.

Das größte Problem ist allerdings, überall auf der Welt, die Stigmatisierung. Wo man offen mit HIV und mit Genderfragen, also sozialen Geschlechterrollen, umgeht, sind die Chancen am größten, die Übertragung von HIV zu verhindern.

DÄ: Ist es denn realistisch, die Neuinfektion von Babys bis 2015 zu verhindern?

Schneider: Ja, Es ist ambitioniert, aber möglich! Alles, was wir dazu brauchen, steht uns heute schon zur Verfügung. Zum Beispiel sollten alle Frauen heute schon die Möglichkeit haben, sich vor einer HIV-Infektion zu schützen. Auch hier spielen Genderfragen eine große Rolle. Jede Frau sollte zudem die Möglichkeit haben, eine ungewollte Schwangerschaft zu verhüten. Und jede schwangere Frau sollte Zugang zu freiwilligen HIV-Tests und zu einer angemessenen Beratung haben. Schließlich sollten schwangere Frauen, die mit HIV leben, Zugang zu einer Therapie mit antiretroviralen Arzneimitteln erhalten. Wenn dies alles gegeben ist, inklusive einer entsprechenden Betreuung, kann die HIV-Übertragungsrate von der Mutter auf ihr Kind auf weniger als fünf Prozent gesenkt werden. Und das wäre nicht nur aus ethischer Sicht anzustreben, sondern auch aus ökonomischer. Denn es würde die Gesundheitssysteme enorm entlasten. 

DÄ: Welche Probleme müssen bis dahin noch gelöst werden?

Schneider: Eine Barriere sind die fehlenden finanziellen Mittel. Deshalb  müssen wir versuchen, die Bundesregierung dahin zu bringen, ihren Beitrag zu leisten. Zwar hat sie bereits Projekte in diesem Bereich mit Ländern gestartet, die von HIV/Aids stark betroffen sind. Aber sie kann noch mehr tun. Zum Beispiel haben wir mit dem 2001 von den Vereinten Nationen zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria eingerichteten Globalen Fonds ein effektives Finanzinstrument.

In den vergangenen Jahren hat dieser Fonds mit dazu beigetragen, dass mehr als drei Millionen Menschen Zugang zu einer Therapie mit antiretroviralen Arzneimitteln erhalten haben. Die Bundesregierung sollte diesen Fonds mit einem fairen Beitrag stärken, der weit über die bisher gezahlten 200 Millionen Euro hinausgeht. 

Darüber hinaus müssen wir die Gesundheitssysteme vor Ort stärken. Denn antiretrovirale Medikamente müssen ein Leben lang gegeben werden, die Gesundheitssysteme gerade in Afrika müssen die Patienten also langfristig betreuen. Dazu brauchen sie eine gute Infrastruktur, eine gute Ausbildung der Ärzte und Pfleger.

In diesem Zusammenhang ist es auch wichtig, dem Brain-Drain, dem Abwandern der ausgebildeten Helfer vor Ort, entgegenzuwirken und die Voraussetzungen zu schaffen, dass junge Menschen mit einer guten medizinischen Ausbildung in ihren Ländern bleiben. 

DÄ: Welche Rolle spielt dabei Indien, das aufgrund seines recht eng gefassten Patentrechts viele Entwicklungsländer günstig mit antiretroviralen Arzneimitteln beliefern kann?

Schneider: Eine große Rolle! Heute werden die meisten Medikamente für Afrika in Indien hergestellt. Wir müssen sicher stellen, dass die in der Doha Deklaration vor zehn Jahren festgelegten Flexibilitäten des TRIPS-Abkommens, erhalten bleiben und somit Staaten zum Beispiel die Möglichkeit gelassen wird, den Preis von patentgeschützten Arzneimitteln durch Zwangslizenzen in ihrem Land zu senken. Solche Möglichkeiten dürfen nicht durch bilaterale Abkommen, wie sie im Moment zwischen Indien und der Europäischen Union anstehen, eingeschränkt werden.

fos

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