Wissenschaftsrat: Universitätsmedizin zentraler Koordinator für Versorgung

Berlin – Die Universitätskliniken wollen sich in der politischen Debatte wieder mehr Gehör verschaffen und die zentrale Institution für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem werden. In einem Positionspapier, das der Wissenschaftsrat auf seiner Sommersitzung verabschiedet hat, wurden Empfehlungen zur künftigen Rolle der Universitätsmedizin zwischen Wissenschafts- und Gesundheitssystem formuliert.
Das große Potenzial, das sich speziell in der Pandemie gezeigt habe, müsse besser genutzt werden, heißt es. „Bund und Länder sowie Wissenschafts- und Gesundheitspolitik sind deshalb gefordert, ein einheitliches Verständnis von Rolle und Aufgaben der Universitätsmedizin zu entwickeln.“
Grundlage bei den Überlegungen des Wissenschaftsrates waren die bisherigen klassischen drei Aufgaben: Forschung, Lehre und Krankenhausversorgung. Schon jetzt allerdings stoßen die 35 Unikliniken an ihre ökonomischen Grenzen.
Die Regeln der Krankenhausfinanzierung aus dem System der diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRG) seien weiter nicht auf die Notwendigkeiten von Universitätskliniken angepasst. Eine künftige bessere Finanzierung müssten Bund und Länder dringend angehen.
System- und Zukunftsaufgaben als vierte Säule
Um das Potenzial der Universitätsmedizin auszuschöpfen, schlägt der Wissenschaftsrat zusätzlich zu den drei traditionellen Aufgaben eine vierte Säule vor, die in dem Papier „System- und Zukunftsaufgaben“ genannt wird. Dazu zählen die Koordinierung, Vernetzung und Steuerung von Versorgung, sei es regional oder auch in einem überregionalen Kontext, gerade auch in kleineren medizinischen Fächern.
Ebenso sieht sich die Universitätsmedizin als Treiber für die Innovationsentwicklung und das Management von Innovationen für die Versorgung. Da viele Fächer nur noch an den großen Häusern gelehrt werden, sind die Unikliniken damit auch für den „Erhalt und die Weiterentwicklung des Fächerspektrums“ zuständig. Ebenso werden dort Qualitätssicherung und der Transfer von Expertise gesehen.
Auch Politikberatung und Wissenschaftskommunikation – wie oftmals in der Pandemie geschehen – gehören in diese vierte Säule. Vieles davon sei in der Pandemie bereits „ad-hoc“ umgesetzt worden, so zum Beispiel hatten die Universitätskliniken 70 Prozent der ECMO-Behandlung übernommen, erklärte Michael Roden von der Uniklinik Düsseldorf, einer der Mitautoren des Papiers, bei der Pressekonferenz.
Universitätsmedizin als Koordinator
Um die Universitätsmedizin stärker als bisher in einer Rolle des Koordinators zu sehen, muss Wissenschafts- und Gesundheitspolitik eine gemeinsame Strategieentwicklung starten, weil beide „von unterschiedlichen Steuerungsparadigmen und Handlungslogiken geprägt sind“, heißt es in dem 200-seitigen Gutachten. Daher wird für eine gesetzliche Verankerung der Rolle und Aufgaben plädiert.
„Es sollte geprüft werden, ob und wie die Universitätsmedizin als eine Einrichtung eigenen Typs konzeptionell verankert werden kann.“ Auch bei den Reformprozessen in der Gesundheitspolitik müsse diese besondere Einrichtung besser berücksichtigt werden.
Aber auch den Bundesländern, die in den meisten Fällen die Träger der universitären Einrichtungen sind, schreibt der Wissenschaftsrat einiges ins Aufgabenbuch: So seien die „Anstrengungen hinsichtlich einer dynamischen Steigerung der konsumtiven Grundfinanzierung für Forschung und Lehre fortzuführen“, dazu gehöre auch die Investitionen in Gebäude.
Zur einheitlichen Finanzierung aller Unikliniken gehört auch die Ausgestaltung der digitalen Infrastruktur, speziell auch die Dateninfrastruktur. Dafür müssen auch die bestehenden Datensysteme aus der Versorgung zusammen geführt werden: Neben der Medizininformatikinitiative des Bundes müsse auch die Telematikinfrastruktur „stärker zusammengeführt“ werden, heißt es in dem Positionspapier.
Um die Finanzierung sämtlicher zusätzlicher Aufgaben in der Koordination sowie den neu definierten System- und Zukunftsaufgaben gerecht zu werden, fordert der Wissenschaftsrat, dass sie „im Rahmen einer dauerhaften, zusätzlichen Finanzierungssäule aus öffentlichen Mitteln gefördert werden.“ Daher regt der Rat auch an, die Universitätsmedizin als „gemeinsame Aufgabe von Bund und Ländern zu begreifen“ und damit auch die Finanzierungskompetenzen gemeinsam zu gestalten.
Kritik am Bundesgesundheitsministerium
Gerade die Pandemie habe auch bei der Finanzierung der Leistungen Probleme aufgezeigt, erklärte Axel Haverich von der Medizinischen Hochschule Hannover. So hätten viele Unikliniken Patienten unter ECMO-Behandlung zu sich verlegt. Die Kosten, die da entstanden seien, würden nie von Krankenkassen durch die DRGs finanziert, so Haverich. Insgesamt passe die Finanzierung der Notfallstrukturen nicht zu den universitären Bedürfnissen. „Auch im Bundesgesundheitsministerium haben wir für diese Themen kein Gehör.“
Auf der Pressekonferenz bescheinigte Theresia Bauer (Grüne), Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg, dem Papier des Wissenschaftsrates „hohe Relevanz und Brisanz für die politische Beratung.“ Es sei in „Klarheit ein Wirklicher Gewinn“.
Sie kündigte an, speziell in Baden-Württemberg künftig die vier Universitätskliniken auch als Koordinator zu betrachten und die Erfahrungen aus der Pandemie in eine künftige Wissenschafts-, aber auch Gesundheitspolitik einzubringen.
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