Zu häufig unnötige Risiken durch Fehler bei Schmerzmitteltherapie

Berlin – Die Behandlung von Patienten mit Schmerzmitteln erfolgt häufig fehlerhaft. Insbesondere eine fehlende Übersicht über die Gesamtmedikation führe oft zu gefährlichen Arzneimittelkombinationen, heißt es im Barmer Arzneimittelreport 2023.
Die Krankenkasse hatte für ihren Arzneimittelreport in diesem Jahr schwerpunktmäßig die medikamentöse Schmerztherapie ihrer ambulant behandelten Versicherten ab 18 Jahren ohne Tumorerkrankung untersucht.
„Die Ergebnisse sind in Teilen absolut beunruhigend“, erklärte der Vorstandsvorsitzende Christoph Straub daraufhin gestern in Berlin. „Patientinnen und Patienten erhalten vielfach falsche Schmerzmittel.“
Auf Deutschland hochgerechnet hätten im Jahr 2021 rund 18 Millionen Männer und 23 Millionen Frauen Schmerzmedikamente verordnet bekommen, insgesamt 17,1 Millionen Versicherte.
Dabei hätten zum Beispiel rund 526.000 Versicherte trotz Herzinsuffizienz nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) wie Ibuprofen oder Paracetamol erhalten. Das widerspreche nicht nur den Leitlinien, sondern könne durch eine Beeinträchtigung der Herzleistung auch die Zahl der Krankenhausaufenthalte und Sterblichkeit in dieser Gruppe erhöhen.
„Allerdings kann man hier nicht einzelnen Ärztinnen oder Ärzten einen Vorwurf machen“, betonte Straub. Denn die Daten würden auch zeigen, dass sehr viele Patienten unterschiedliche Medikamente von verschiedenen Ärzten zeitlich parallel verschrieben bekommen.
Digitale Unterstützung notwendig
„Wir haben festgestellt, dass drei von vier Patienten mit Schmerztherapie von mehr als einem Arzt Verordnungen erhalten, jeder fünfte sogar von fünf oder mehr Ärzten“, erklärte Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und Gründungsmitglied des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. „Das bedeutet, hier ist es extrem schwierig, aber notwendig, die Übersicht über die Verordnungen zu behalten, was für den einzelnen Arzt meist nur mit digitaler Unterstützung machbar ist.“
Außerdem würden in der Verordnung real 450.000 verschiedene Kombinationen zweier Arzneimittel vorkommen. „Das ist eine Komplexität, die man ohne eine digitale Erfassung und Prüfung der Verordnungen auf Wechselwirkungen überhaupt nicht mehr bewältigen kann“, sagte Straub.
Hinzu komme, dass sehr viele Schmerzmittel frei verkäuflich sind, betonte Straub. Deshalb seien sie meist gar nicht in Medikationsplänen oder ärztlicher Dokumentation aufgeführt.
Viel zu weit verbreitet sei auch eine andere, noch problematischere Kombination: Fast sieben Millionen gesetzlich Versicherten sei 2021 das Analgetikum Metamizol verordnet worden, was auch deshalb erstaunlich sei, weil der Wirkstoff in Einzelfällen schwerste Schädigungen der blutbildenden Zellen im Knochenmark verursachen kann.
Dieses Risiko steige erheblich bei einer Kombination mit dem Folsäure-Agonist Methotrexat. Insbesondere bei über 80-jährigen sei das eigentlich tabu, weil es das Risiko einer Agranulozytose vervielfache.
Analysen der Metamizol-Verordnungen hätten nun gezeigt, dass 1,1 Prozent der Versicherten gleichzeitig Verordnungen von Methotrexat erhielten, wobei 22,4 Prozent dieser Versicherten 80 Jahre und älter waren.
Von den Versicherten wiederum, die wegen Agranulozytose stationär behandelt wurden mussten, hatten 23,7 Prozent zeitgleich Verordnungen von Metamizol und Methotrexat erhalten. „Hier wird ein hoch relevantes Risiko nicht adäquat berücksichtigt“, heißt es dazu im Arzneimittelreport.
Auch bei der Therapie mit Opioiden komme es sehr häufig zu vermeidbaren Fehlern. Hochgerechnet hätten rund 2,7 Millionen gesetzlich Versicherte ohne Tumorerkrankung ein Opioid erhalten, 30 Prozent von ihnen aber parallel kein Abführmittel, wie es die Leitlinien vorsehen.
Dadurch verfünffache sich das Risiko eines Darmverschlusses, fünf von 10.000 Patienten mit Opioidtherapie müssten wegen solch einer Komplikation in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Auch würden bei jedem zehnten Opioidpatienten zusätzlich Beruhigungsmittel verordnet, was ebenfalls den Leilinien widerspricht und im schlimmsten Fall lebensgefährlich sein kann.
Eine Opioidkrise wie in den USA in Deutschland nicht in Sicht
Eine Gefährdung der öffentlichen Gesundheit aufgrund zu hoher Nutzung opioidhaltiger Schmerzmittel befürchtet Grandt hingegen nicht. „Eine Opioidkrise wie in den USA sehen wir für Deutschland nicht“, erklärte er auf Anfrage des Deutschen Ärzteblatts.
In den Vereinigten Staaten seien zwei von drei Drogentoten auf Opioide zurückzuführen. 38 Prozent der im US National Survey of Drug Use and Health befragten Erwachsenen hätten berichtet, im vergangenen Jahr zumindest einmal ein verschreibungspflichtiges Opioid eingenommen zu haben.
„Im Gegensatz dazu haben wir gefunden, dass 5,7 Prozent der erwachsenen Versicherten der Barmer ohne Tumordiagnose ein Opioid während des Betrachtungsjahres verordnet worden ist“, erklärte Grandt. Dafür seien wesentlich die deutlich restriktiveren Regeln zum Einsatz von Opioiden durch das Betäubungsmittelgesetz in Deutschland im Vergleich zu den USA verantwortlich.
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