Zwillingsstudien: Gene beeinflussen Appetit und Sättigung

London – Appetit und Sättigung unterliegen deutlichen genetischen Einflüssen. Dies zeigen die Ergebnisse aus zwei Zwillingsstudien in JAMA Pediatrics, die auch die Auswirkungen auf das Körpergewicht bei Säuglingen und Kindern im Grundschulalter dokumentieren.
Zweieiige Zwillinge trinken, wenn sie gestillt werden, die gleiche Muttermilch, und sie sind in den ersten Lebensmonaten auch den gleichen Umweltfaktoren ausgesetzt. Sie haben aber teilweise unterschiedliche Gene. Dies macht zweieiige Zwillinge für Forscher interessant, die den Einfluss von Genen und Umwelt auf die spätere Entwicklung trennen wollen. Eine angesichts der derzeitigen Adipositas-Epidemie brennende Frage ist, ob Appetit und Sättigung eher durch die Gene oder durch die Umwelt beeinflusst werden.
Das Team um Jane Wardle vom University College London hat hierzu die Gemini-Kohorte befragt. Es handelt sich um eine Gruppe von Zwillingen des Geburtsjahrgangs 2007, deren Mütter während der ersten Lebensmonate regelmäßig einen Fragebogen zur Fütterung ihrer Säuglinge ausgefüllt hatten. Den Forschern fiel auf, dass das Trinkverhalten unter zweieiigen Zwillingen häufig stark variiert.
Von 800 gleichgeschlechtlichen zweieiigen Zwillingspaaren unterscheiden sich 172 Paare sehr stark in ihrem Appetit. Bei 121 Paaren ermittelten die Forscher eine unterschiedlich schnelle Sättigung (JAMA Pediatrics 2014: doi: 10.1001/jamapediatrics.2013.4951).
Eine vermehrte Kalorienaufnahme in den ersten Lebensmonaten blieb nicht ohne Folgen. Die Säuglinge mit dem herzhaften Appetit wogen im Alter von sechs Monaten 654 Gramm mehr als ihre Zwillingsgeschwister.
Der Endpunkt Sättigungsverhalten machte sich in einer Differenz von 637 Gramm auf der Waage bemerkbar. Die Unterschiede von Appetit und Sättigung blieben nicht auf die Stillphase beschränkt. Im Alter von 15 Monaten wogen die appetitfreudigeren Geschwister schon 991 Gramm mehr. Das Sättigungsverhalten führte zu Unterschieden von 918 Gramm.
Für Wardle gibt es keinen Grund, stark trinkenden Säuglingen die Muttermilch vorzuenthalten. Die Mütter sollten sich aber bei der weiteren Entwicklung ihrer Kinder Gedanken darüber machen, ob ihr Kind stärker als andere auf Nahrungsmittelreize reagiert und eine verzögerte Sättigung zeigt. Dies könnte ein erster Hinweis auf ein späteres Übergewicht sein.
Dass beides, Appetit und Sättigung, genetischen Einflüssen unterliegt, zeigt auch die Auswertung einer zweiten Zwillingsstudie in JAMA Pediatrics (2014: doi:10.1001/jamapediatrics.2013.4944). Dort hat Clare Llewellyn, ebenfalls vom University College London, die Daten der Twins Early Development Study ausgewertet. Diese Studie begleitet Zwillingsgeschwister aus England und Wales der Jahrgänge 1994 bis 1996.
Im Alter von durchschnittlich 9,9 wurden bei den Kindern Blutproben entnommen. Llewellyn ließ die Proben auf 28 bekannte Genvarianten (SNP) hin untersuchen, die in den letzten Jahren in anderen Studien mit der Anfälligkeit auf eine Adipositas in Verbindung gebracht wurden. Die Forscherin errechnete für jedes Kind einen genetischen Risiko-Score („polygenic obesity risk score“ PRS) und setzte ihn mit den Angaben der Mütter zum Sättigungsverhalten der Kinder in Beziehung.
Tatsächlich brauchten die Kinder mit dem höchsten PRS-Score mehr Nahrung, um satt zu werden, und sie wogen in der Regel auch mehr als die Kinder mit günstigeren Sättigungs-Genen. Auch dies deutet darauf hin, dass Übergewicht bei Kindern häufig genetisch bedingt ist, wobei Appetit und Sättigung die entscheidenden Auslöser sein könnten.
Dies bietet laut Llewellyn sinnvolle Ansatzpunkte für Therapien. Ein frühzeitiges Ess- und Sättigungstraining könnte Kinder und Jugendliche möglicherweise vor einer späteren Adipositas schützen.
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