Politik

Koalitions­verhandlungen zu Gesundheit: Finanzierungs­kompromisse stehen

  • Freitag, 22. November 2013
Uploaded: 22.11.2013 12:55:56 by mis
Einigung: Jens Spahn (l.) (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) dpa

Berlin – Die Unterhändler von Union und SPD haben sich über die zukünftige Finan­zierung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Pflegeversicherung geeinigt. Es soll demnach weiterhin einen allgemein gültigen Beitragssatz in der GKV geben. Er soll bei 14,6 Prozent liegen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen jeweils 7,3 Prozent.

Der derzeit allein von den versicherten Arbeitnehmern aufzubringende Beitragssatzanteil in Höhe von 0,9 Prozent fließt zukünftig in einen Zusatzbeitrag. Diesen würden alle Krankenkassen im Wettbewerb unternehmensindividuell erheben. Details hierzu wurden nicht genannt.

Der neue Zusatzbeitrag soll jedoch nicht für alle Versicherten einer Kasse gleich hoch sein, sondern als prozentualer Satz von ihrem beitragspflichten Einkommen berechnet und bezahlt werden. Damit aber Krankenkassen mit besser verdienenden Versicherten nicht Vorteile daraus ziehen können, müssen sie sich bei der Berechnung ihres Zusatz­beitrags am Durchschnitts­einkommen in der GKV orientieren. In einem solchen System würden auch bei den Zusatzbeiträgen finanzstärkere Mitglieder die finanzschwächeren in derselben Krankenkasse unterstützen. Zugleich würden finanzstärkere Kassen finanzschwächere mitfinanzieren.

Keine Anreize für besondere Versorgungsangebote
Das lässt sich nach Erläuterungen aus dem Umfeld der AG Gesundheit aus dem Kompromiss ableiten: Liegt das Durchschnittseinkommen in der GKV beispielsweise bei 20.000 Euro je Versichertem, muss eine Kasse mit einem Durchschnittseinkommen von 30.000 Euro je Versichertem sich bei der Berechnung ihres Zusatzbeitrags daran orientieren und deshalb einen höheren Zusatzbeitrag ansetzen als eigentlich nötig.

Umgekehrt eine Kasse mit einem Durchschnittseinkommen von nur 10.000 Euro je Versichertem: Sie kann einen geringeren Zusatzbeitrag ansetzen. Denn auch die Einnahmen aus den jeweiligen Zusatzbeiträgen der Kassen würden alle in den Gesundheitsfonds fließen und von dort nach den geltenden Regeln des morbiditäts­orientierten Risikostrukturausgleichs an die Krankenkassen verteilt werden.

Dieser Kompromiss sichert SPD und Union Gesichtswahrung: Die Sozialdemokraten können darauf verweisen, für einen weitreichenden Ausgleichsmechanismus in der GKV gesorgt zu haben und Schluss mit dem bisherigen Zusatzbeitrag als kleiner Kopfpau­schale gemacht zu haben. Die Union wiederum kann sich zugutehalten, eine Einheits­versicherung verhindert zu haben und dafür gesorgt zu haben, dass steigende Kosten im Gesundheitswesen allein von den Versicherten getragen werden. Auf jeden Fall dürfte durch diese Vorgaben der Anreiz sinken, Zusatzbeiträge zu erheben, um sich durch ein bestimmtes Versorgungsangebot von anderen Krankenkassen abzuheben.

„Uns war sehr wichtig, dass auch in Zukunft steigende Gesundheitsausgaben nicht automatisch steigende Arbeitskosten in Deutschland bedeuten“, erläuterte der Verhand­lungsführer der Arbeitsgruppe (AG) Gesundheit für die Union, Jens Spahn, am Freitag vor Journalisten in Berlin. „Das ist heute das historische Ende der Kopfpauschalen“, betonte SPD-Verhandlungsführer Karl Lauterbach. „Wir brauchen ein einkommens­abhängiges System, und die Solidarität muss sich darin zeigen, dass jeder nach seinem Einkommen zahlt und nicht einkommensunabhängig nach Kopfpauschale.“

Kompromiss in der Pflegeversicherung
Für die künftige Finanzierung der Pflegeversicherung haben die Unterhändler abschließend vorgesehen, den Beitragssatz spätestens zum 1. Januar 2015 um 0,3 Prozentpunkte zu erhöhen. 0,2 Prozentpunkte sollen für Leistungsverbesserungen und die Dynamisierung bestehender Leistungen verwendet werden, 0,1 Prozentpunkte für einen Pflegevorsorgefonds unter Verwaltung der Bundesbank. So sollen Finanzmittel für zukünftige Pflegeleistungen angespart werden. Verständigt haben sich SPD und Union zudem darauf, in einem zweiten Schritt die Beiträge zur Pflegeversicherung noch einmal um 0,2 Prozentpunkte zu erhöhen. Damit soll die Umsetzung des neuen Pflegebe­dürftigkeitsbegriffs finanziert werden.

Lauterbach: SPD-Mitglieder können die Entscheidungen gutheißen
Die beiden Leiter der AG Gesundheit zeigten sich mit den erzielten Schlusskom­promissen zufrieden. „Wer hätte gedacht, dass Gesundheit und Pflege die Themen in den Koalitionsverhandlungen sein werden, wo es als erstes eine Einigung in allen offenen Fragen gibt?“, erklärte Jens Spahn vor Journalisten in Berlin. „Auf der Versorgungsseite sind die Ergebnisse unstrittig sehr gut“, würdigte Karl Lauterbach die Arbeit der AG. Was die Finanzierungsfragen anbelangt, hält er das Ergebnis für akzeptabel: „Daher würde ich das Gesamtergebnis Gesundheit unseren Mitgliedern bei der Abstimmung zur Anerkennung empfehlen.“

Kassen zufrieden
Der GKV-Spitzenverband zeigte sich zufrieden mit der Einigung. „Nachdem in den letzten Jahren ein Einheitsbeitrag per Gesetz festgelegt wurde, erhalten die Krankenkassen nun ihre Finanzautonomie zurück“, erklärte die Vorstandschefin Doris Pfeiffer.    

Demgegenüber warf die Linke der SPD vor, sich mit der Einigung von dem Konzept der Bürgerversicherung verabschiedet zu haben, in das auch die bislang privat Versicherten einzahlen. Zudem sei „der prozentuale Zusatzbeitrag für Versicherte ist der endgültige Ausstieg aus dem einheitlichen Beitragssatz“, erklärte Gesundheitsexperten Kathrin Vogler.  

Die Deutschen Stiftung Patientenschutz kritisierte, dass den Demenzkranken erst gegen Ende der Legislaturperiode geholfen werde. Dies „enttäuscht auf ganzer Linie“, erklärte Stiftungsvorstand Eugen Brysch.

Rie

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