Politik

Orientierungswert: Beitragssatz­stabilität kein Grund, Regionalzuschlag abzulehnen

  • Donnerstag, 11. Mai 2017
/stockWERK, stock.adobe.com
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Kassel – Vom Orientierungswert, der bundesweit die Preise für ärztliche Leistungen fest­legt und der derzeit bei 10,53 Cent liegt, darf regional abgewichen werden. Kranken­kas­s­en können sich in den Verhandlungen nicht auf die Beitragssatzstabilität berufen. Das hat ges­tern das Bundessozialgericht (BSG) in zwei konkreten Fällen für Bayern (Az.: B 6 KA 14/16 R) und Hamburg (Az.: B 6 KA 5/16 R) entschieden. Eine Schiedsentscheidung in Hamburg bestätigte der 6. Senat, die in Bayern hob er teilweise auf.

Der Orientierungswert berück­sichtigt die Investitions- und Betriebskosten einer Praxis. Kassenärztliche Bundesvereini­gung (KBV) und GKV-Spitzenverband sind gesetzlich ver­pflichtet, jährlich über die An­passung des Wertes zu verhandeln. Die Möglichkeit, einen Zuschlag als Ausgleich für eine überdurchschnittlich hohe Kostenstruktur zu ver­einba­ren, hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) mit dem Versor­gungsstrukturgesetz verankert.

Zwei unterschiedliche Urteile von Landessozialgerichten

Die Krankenkassen waren in den regionalen Verhandlungen in Hamburg und Bayern in den beiden dem BSG vorliegenden Fällen nicht bereit, diesen zu bezahlen, während un­ter anderem die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Hamburg und Bayerns davon Gebrauch machen wollten. Dazu fielen zwei Schiedsentscheidungen, weil sich die Ver­hand­lungspartner nicht einigen konnten. In Hamburg war der Zuschlag in Höhe von 2,083 Prozent, der die höheren Kosten in der Hansestadt nach Entscheidung des Schiedsam­tes ausgleichen sollte, von den Kranken­kassen beklagt worden.

Dem BSG-Ur­teil voraus­gegangen waren zwei unterschiedliche Entscheidungen vom Lan­dessozialge­richt (LSG) Hamburg und vom Bayerischen Lan­des­sozialgericht. In Bayern hatten die Richter einen Zuschlag auf den Orientierungs­wert, den die KV Bayerns ver­langt hatte, abge­lehnt. In Hamburg hatte das Gericht den Zu­schlag be­stätigt.

Das BSG entschied nun im konkreten Fall, dass die KV Hamburg diese Möglichkeit zu Recht nutz­te und gab damit dem LSG Hamburg recht. Schriftlich heißt es vom BSG: Die Voraussetzun­gen für einen Zuschlag zum bundesweiten Orientierungswert seien gege­ben, weil es in Ham­burg in Relation zum Bundesdurchschnitt deutlich höhere Miet- und Personalkosten ge­be. „Wo, wenn nicht in Hamburg, sollte dies gehen?“, habe BSG-Prä­si­dent Ul­rich Wenner in der mündlichen Verhandlung ge­fragt, teilte die KV Hamburg heu­te mit.

Sie zeigte sich sehr zufrieden mit dem Urteil. „Das BSG hat eindeutig festge­stellt, dass es eine Pflicht gibt, höhere Kostenstrukturen aus­zugleichen“, sagte der KV-Vorsit­zen­de Wal­ter Plassmann. So gebe es wenigstens einen kleinen Ausgleich für die bun­desweit unter­durchschnittlichen Honorare der Ärzte in Hamburg.

Das BSG stellte zudem klar, dass die Krankenkassen den vom Gesetzgeber gewollten Zu­schlä­gen nicht den Aspekt der Beitragsstabilität entgegengehalten können. Der Ge­setz­geber sei davon ausgegangen, dass sich die Zuschläge an einer Stelle durch Ab­schläge an anderer ausgleichen würde, hieß es. Der Gesetzgeber habe sich „von der Vorstellung leiten lassen, dass ein System von Zu- und Abschlägen im Hinblick auf regio­nale Besonderheiten gerade nicht zur Folge haben muss, dass bei Betrachtung des ge­samten Bundesgebietes die Punktwerte zwangsläufig über den Orientierungswert an­stei­gen“, schreibt das BSG. Die Richter entschieden zudem, dass die Zu- und Ab­schläge nicht fortzuschreiben sind, sondern jedes Jahr neu auf Grundlage des Orientierungs­wer­tes verhandelt werden müssten.

Für Bayern hob das BSG den Schiedsspruch teilweise auf. Das beklagte Schiedsamt ha­be seine Entscheidung, keine Zuschläge auf den Orientierungswert festzusetzen, „nicht hinreichend begründet“, schreibt das BSG in seinem aktuellen Terminbericht zur Ver­hand­lung. Die Entscheidung stehe „mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang in Ein­klang“.

Zwar stehe dem Schiedsamt auch bei der Festsetzung von Zuschlägen Gestaltungsfrei­heit zu. Auch habe es richtig zur Kenntnis genommen, dass es gegen den Willen eines Beteiligten, in diesem Fall der Krankenkassenverbände, Zuschläge festsetzen dür­fe. Aller­dings habe das Schiedsamt falsch angenommen, dass keine Besonderheiten be­rück­sichtigt werden, die sich über die Jahre entwickelt haben, sondern sich nur auf die Veränderungen der infrage stehenden Jahre bezogen habe. Die Folge ist, dass das Schiedsamt in Bayern über die Zuschläge neu entscheiden muss.

may

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