Orientierungswert: Beitragssatzstabilität kein Grund, Regionalzuschlag abzulehnen

Kassel – Vom Orientierungswert, der bundesweit die Preise für ärztliche Leistungen festlegt und der derzeit bei 10,53 Cent liegt, darf regional abgewichen werden. Krankenkassen können sich in den Verhandlungen nicht auf die Beitragssatzstabilität berufen. Das hat gestern das Bundessozialgericht (BSG) in zwei konkreten Fällen für Bayern (Az.: B 6 KA 14/16 R) und Hamburg (Az.: B 6 KA 5/16 R) entschieden. Eine Schiedsentscheidung in Hamburg bestätigte der 6. Senat, die in Bayern hob er teilweise auf.
Der Orientierungswert berücksichtigt die Investitions- und Betriebskosten einer Praxis. Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband sind gesetzlich verpflichtet, jährlich über die Anpassung des Wertes zu verhandeln. Die Möglichkeit, einen Zuschlag als Ausgleich für eine überdurchschnittlich hohe Kostenstruktur zu vereinbaren, hatte der damalige Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) mit dem Versorgungsstrukturgesetz verankert.
Zwei unterschiedliche Urteile von Landessozialgerichten
Die Krankenkassen waren in den regionalen Verhandlungen in Hamburg und Bayern in den beiden dem BSG vorliegenden Fällen nicht bereit, diesen zu bezahlen, während unter anderem die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) Hamburg und Bayerns davon Gebrauch machen wollten. Dazu fielen zwei Schiedsentscheidungen, weil sich die Verhandlungspartner nicht einigen konnten. In Hamburg war der Zuschlag in Höhe von 2,083 Prozent, der die höheren Kosten in der Hansestadt nach Entscheidung des Schiedsamtes ausgleichen sollte, von den Krankenkassen beklagt worden.
Dem BSG-Urteil vorausgegangen waren zwei unterschiedliche Entscheidungen vom Landessozialgericht (LSG) Hamburg und vom Bayerischen Landessozialgericht. In Bayern hatten die Richter einen Zuschlag auf den Orientierungswert, den die KV Bayerns verlangt hatte, abgelehnt. In Hamburg hatte das Gericht den Zuschlag bestätigt.
Das BSG entschied nun im konkreten Fall, dass die KV Hamburg diese Möglichkeit zu Recht nutzte und gab damit dem LSG Hamburg recht. Schriftlich heißt es vom BSG: Die Voraussetzungen für einen Zuschlag zum bundesweiten Orientierungswert seien gegeben, weil es in Hamburg in Relation zum Bundesdurchschnitt deutlich höhere Miet- und Personalkosten gebe. „Wo, wenn nicht in Hamburg, sollte dies gehen?“, habe BSG-Präsident Ulrich Wenner in der mündlichen Verhandlung gefragt, teilte die KV Hamburg heute mit.
Sie zeigte sich sehr zufrieden mit dem Urteil. „Das BSG hat eindeutig festgestellt, dass es eine Pflicht gibt, höhere Kostenstrukturen auszugleichen“, sagte der KV-Vorsitzende Walter Plassmann. So gebe es wenigstens einen kleinen Ausgleich für die bundesweit unterdurchschnittlichen Honorare der Ärzte in Hamburg.
Das BSG stellte zudem klar, dass die Krankenkassen den vom Gesetzgeber gewollten Zuschlägen nicht den Aspekt der Beitragsstabilität entgegengehalten können. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass sich die Zuschläge an einer Stelle durch Abschläge an anderer ausgleichen würde, hieß es. Der Gesetzgeber habe sich „von der Vorstellung leiten lassen, dass ein System von Zu- und Abschlägen im Hinblick auf regionale Besonderheiten gerade nicht zur Folge haben muss, dass bei Betrachtung des gesamten Bundesgebietes die Punktwerte zwangsläufig über den Orientierungswert ansteigen“, schreibt das BSG. Die Richter entschieden zudem, dass die Zu- und Abschläge nicht fortzuschreiben sind, sondern jedes Jahr neu auf Grundlage des Orientierungswertes verhandelt werden müssten.
Für Bayern hob das BSG den Schiedsspruch teilweise auf. Das beklagte Schiedsamt habe seine Entscheidung, keine Zuschläge auf den Orientierungswert festzusetzen, „nicht hinreichend begründet“, schreibt das BSG in seinem aktuellen Terminbericht zur Verhandlung. Die Entscheidung stehe „mit Bundesrecht nicht in vollem Umfang in Einklang“.
Zwar stehe dem Schiedsamt auch bei der Festsetzung von Zuschlägen Gestaltungsfreiheit zu. Auch habe es richtig zur Kenntnis genommen, dass es gegen den Willen eines Beteiligten, in diesem Fall der Krankenkassenverbände, Zuschläge festsetzen dürfe. Allerdings habe das Schiedsamt falsch angenommen, dass keine Besonderheiten berücksichtigt werden, die sich über die Jahre entwickelt haben, sondern sich nur auf die Veränderungen der infrage stehenden Jahre bezogen habe. Die Folge ist, dass das Schiedsamt in Bayern über die Zuschläge neu entscheiden muss.
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