Marburger Bund warnt vor Wartelistenmedizin

Berlin – Vor der Schließung Hunderter Krankenhäuser, wie die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina im Oktober in einem Thesenpapier gefordert hatte, warnte heute der 1. Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), Rudolf Henke, in Berlin.
Die Leopoldina hatte argumentiert, dass die deutsche Krankenhauslandschaft dringend einer Strukturreform bedürfe, an deren Ende statt der derzeit knapp 2.000 Krankenhäuser nur noch 330 Zentralkrankenhäuser stehen könnten. Ein derartiges „Kettensägenmassaker“ bedeute das Ende der freien Krankenhauswahl für die Patienten und den Beginn einer Wartelistenmedizin, erklärte Henke dazu im Vorfeld der Hauptversammlung der Ärztegewerkschaft, die am 4. und 5. November in Berlin stattfinden wird.
In keinem anderen Versorgungsbereich habe es in den vergangenen Jahren mehr Rationalisierung und staatlich verfügten Kapazitätsabbau gegeben als im Krankenhaussektor, sagte der MB-Vorsitzende. In den vergangenen 20 Jahren seien rund 110.000 Krankenhausbetten abgebaut worden, gleichzeitig sei die Zahl der stationär behandelten Patienten von 16 Millionen im Jahr 1995 auf 19 Millionen im Jahr 2015 gestiegen.
Das sei eine beispiellose Effizienzsteigerung, die für das Krankenhauspersonal häufig Mehrarbeit und eine hohe Arbeitsverdichtung zur Folge gehabt habe. „Wer vor diesem Hintergrund Hunderte von Krankenhäusern für überflüssig erklärt, redet letztlich einer harten Rationierung und Unterversorgung das Wort“, erklärte Henke. Die Menschen in Deutschland wollten aber keine Wartelistenmedizin und keine langen Wege bis zur nächsten Klinik, wie sie in anderen Ländern üblich seien.
„Völlig illusionäre Fantasiewelt“
Die Leopoldina hatte für ihre Krankenhausstrukturreform mit dem Beispiel Dänemark geworben. Dort hatte die Regierung für die Restrukturierung des Krankenhaussektors rund 1.000 Euro pro Kopf der Bevölkerung zur Verfügung gestellt. Übertragen auf Deutschland wären das 80 Milliarden Euro, so Henke. Angesichts der heute von den Ländern pro Jahr bereitgestellten Investitionsmittel von 2,7 Milliarden Euro lebten die Wissenschaftler der Leopoldina offenbar in einer „völlig illusionären Fantasiewelt“, kritisierte der MB-Vorsitzende.
„Statt derartiger Fantasien fordern wir eine gesetzlich verankerte Mindestförderung für den Substanzerhalt und die Investition in bedarfsgerechte Strukturen“, so Henke. Der von der Selbstverwaltung kalkulierte Investitionsbedarf liege bei jährlich mindestens sechs bis sieben Milliarden Euro. Von einer ausreichenden Finanzierung könne aber nicht die Rede sein. Noch immer würden Investitionslücken der Länder aus den Krankenhausbudgets quersubventioniert. Diese Mittel fehlten aber an anderer Stelle und gingen zulasten der Personalausstattung.
„Wir müssen uns stärker um die Integration ausländischer Kollegen kümmern“
Neben der finanziellen Situation der Krankenhäuser kündigte Henke weitere Themen für die Hauptversammlung an, darunter Veränderungen in der ärztlichen Arbeitswelt. So arbeiten Henke zufolge inzwischen rund 37.800 ausländische Kollegen in deutschen Krankenhäusern.
Die stärksten Zuwächse verzeichne man bei Ärzten aus Syrien, Serbien und Rumänien. „Wir müssen uns stärker um Fragen der Integration kümmern“, sagte Henke. Erforderlich sei ein verlässliches Anerkennungsverfahren für ausländische Abschlüsse sowie eine bundesweit einheitliche Sprachprüfung. Noch immer müssten ausländische Ärzte durch einen „Unzuständigkeitsdschungel“ irren, kritisierte der 2. Vorsitzende des MB, Andreas Botzlar, und verwies zugleich auf die Beratungs- und Seminarangebote des MB für die ausländischen Kollegen.
Der MB hat sich auch die Interessenvertretung der inzwischen rund 30.000 angestellten Ärztinnen und Ärzte im ambulanten Bereich auf die Fahne geschrieben und ist bei den diesjährigen Wahlen zu den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) mit eigenen Listen angetreten. „Die angestellten Ärzte müssen eine Stimme in der Vertreterversammlung haben“, sagte MB-Hauptgeschäftsführer Armin Ehl. Bei den KV-Wahlen habe man zwar noch keine übermäßigen Erfolge erzielt, aber es sei ein erster Schritt.
Die MB-Hauptversammlung wählt einen neuen Vorstand
Wahlen werden am Samstag auch bei der MB-Hauptversammlung auf der Tagesordnung stehen. Der Vorstand wird neu gewählt und von bisher sieben auf neun Mitglieder erweitert. Nachdem die Hauptversammlung im Mai in Hamburg eine Geschlechterquote für den Bundesvorstand beschlossen hatte, müssen diesem künftig mindestens drei Frauen und drei Männer angehören. Zurzeit stehen dem Gremium Rudolf Henke und Andreas Botzlar als 1. und 2. Vorsitzender vor, Beisitzer sind Andreas Scholz, Christoph Emminger, Sabine Ermer, Johannes Albert Gehle und Frank Joachim Reuther. Henke zufolge stellen sich alle bis auf Emminger zur Wiederwahl.
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