Fachgesellschaften und Barmer plädieren für Mindestmengen ohne Klinikschließung

Berlin – Die Qualität an deutschen Krankenhäusern könnte besser sein. Die Voraussetzung dafür: mehr Mindestmengen bei schwerwiegenden und seltenen Erkrankungen, die Einrichtung von Zentren für komplexe Operationen und mehr Transparenz bei dem Vergleich medizinischer Leistungen. Für diese drei Qualitätskriterien sprachen sich kürzlich zwei Fachgesellschaften und eine Krankenkasse bei einer gemeinsamen Pressekonferenz in Berlin aus.
Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) sowie die Barmer mahnen gemeinsam, entsprechende Qualitätsbestrebungen in Krankenhäusern zu verstärken.
Mindestmengen eignen sich für komplexe Therapien
Wenn Menschen schwer erkranken, beispielsweise an Krebs, benötigen sie oft komplexe Therapien. Für viele Krankheiten sei belegt, dass sich Mindestmengen als messbares Qualitätskriterium eigneten, sagte Markus M. Lerch, Kongresspräsident der DGVS. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat bereits sieben Leistungsbereiche für Mindestmengen definiert.
In der Viszeralmedizin sei die Bewertung der Ergebnisqualität auf der Basis von Mindestmengen am besten für das Oesophaguskarzinom und die Pankreaschirurgie belegt und auch vorgeschrieben, sagte Lerch und verwies auf eine Studie in Annals of Surgery 2016 und eine weitere in Visceral Medicine 2017.
„Darüber hinaus ist der Zusammenhang zwischen der Zahl der behandelten Fälle pro Zentrum oder pro Arzt und der Ergebnisqualität für weitere Bereiche der Medizin gezeigt worden, wie etwa beim Herzinfarkt, bei der Carotisstenose oder bei der Versorgung von Hüftgelenksfrakturen“, ergänzte Lerch. Als Quelle nannte er eine Studie von Hentschker C et al, die online im Health Service Research erschienen ist (2017; doi: 10.1111/1475-6773.12696).
Die Deutsche Krebsgesellschaft hat bereits interdisziplinäre Organkrebszentren ins Leben gerufen, die von einer unabhängigen Agentur (OnkoZert) zertifiziert werden. Sie erfüllen strenge Qualitätskriterien, einschließlich der vorgegeben Mindestmengen für Operationen. Doch noch immer werde ein großer Teil der Patienten außerhalb dieser spezialisierten Zentren behandelt, sagte Lerch.
Welche Folgen dies für Patienten haben könne, zeige das Beispiel Bauchspeicheldrüsenkrebs. Vergleicht man jene Kliniken mit der meisten Erfahrung und jene mit den wenigsten Operationen, so halbiert sich die Überlebenschance des Patienten nahezu. „Das Konzept von ‚jeder kann alles, jeder darf alles und jeder bietet alles an‘ geht zulasten der Patienten“, warnte der Direktor der Klinik für Innere Medizin an der Universitätsmedizin der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald.
Auch aus Sicht der Barmer gibt es in den deutschen Kliniken nach wie vor ein enormes Qualitätsgefälle. „Wir fordern schon lange, schwere Krankheiten nur noch an Zentren zu behandeln. Dabei werden wir um weitere Mindestmengen nicht herumkommen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub.
Er verwies auf den Krankenhausreport 2016 der Barmer: In durch die DGAV zertifizierten Kliniken seien demnach die Komplikationen bei einem bariatrischen Eingriff geringer als in einem nicht zertifizierten Krankenhaus. Auch das Sterberisiko sei um 15 Prozent reduziert.
Trotz der Berechnung der Leopoldina, der zufolge 350 Krankenhäuser für Deutschlands Versorgung ausreichen würden, spricht sich Straub gegen Klinikschließungen aus. „Wir sind davon abgekommen, Klinikschließungen zu fordern. Stattdessen plädieren wir dafür, die Strukturen weiterzuentwickeln.“ Damit meint er beispielsweise die Einrichtung ambulanter Versorgungseinheiten in kleinen Krankenhäusern.
Um kleinen Krankenhäusern das Überleben zu sichern, schlug Lerch vor, klare Ziele für diese Häuser zu definieren. Sie könnten sich etwa auf Eingriffe an der Galle, am Blinddarm oder an der Schilddrüse fokussieren. Das Problem dabei liege derzeit aber noch im DRG-System. Denn mit diesen Operationen allein würden diese Krankenhäuser nicht genug Erlöse erzielen, um wirtschaftlich zu überleben. „Hier muss man ansetzen und den kleinen Krankenhäusern dafür eine Finanzierung zur Verfügung stellen, dass sie sich auf die Eingriffe beschränken, die sie beherrschen“, sagte Lerch.

DGAV vergleicht Kliniken
Um die Sicherheit von Patienten zu stärken, baut die DGAV seit zehn Jahren ein Dokumentationssystem auf, das chirurgische Leistungen mess- und zwischen verschiedenen Kliniken vergleichbar macht: das Studien-, Dokumentations- und Qualitätszentrum (StuDoQ)-Register.
330 spezialisierte Organkrebszentren in Deutschland melden bereits kontinuierlich vollzählige Datensätze ihrer Patienten an die DGAV – 75.000 sind bereits erfasst. Einmal im Jahr erhalten die teilnehmenden Klinken eine Auswertung.
„Die Klinik sieht ihr Ergebnisse im Vergleich zu den übrigen Kliniken, aufgeschlüsselt unter anderem nach der Häufigkeit der Anastomoseninsuffizienz, der Wundheilungsstörungen, der postoperativen Thromboserate oder auch der Rate an Tumorboardvorstellungen, der Zahl der Begleiterkrankungen oder der ASA-Klassifikation“, erklärte Albrecht Stier, Präsident der DGAV und Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie in Erfurt. Diese kontinuierliche chirurgische Qualitätskontrolle sei in Deutschland bisher einzigartig.
Im Vergleich zu der verpflichtenden externen stationären Qualitätssicherung des G-BA sieht Stier StuDoQ klar im Vorteil. „Die Auswertung mittels StuDoQ ist wesentlich verständlicher aufbereitet und auch ausführlicher, sodass die Kliniken Defizite erkennen und daran arbeiten können.“ Zudem betrüge die Zeit, in der den Kollegen ihre Jahresergebnisse zurückgespiegelt werden, im Durchschnitt weniger als ein halbes Jahr.
Auch wenn die DGAV keine Negativempfehlungen ausspreche, könne man jährlich in den Berichten erhebliche Verbesserungen erkennen. Welche Qualitätsparameter sich aus den Registerdaten ableiten lassen, haben die Initiatoren bereits in mehreren Studien publiziert, unter anderem im Chirurg, Visceral Medicine und der Zeitschrift für Gastroenterologie. „Derzeit handelt es sich bei StuDoQ ausschließlich um ein Expertentool. Wir planen aber, die Ergebnisse transparent für Patienten aufzubereiten“, kündigte Stier an.
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