Ausland

EU-Kommission friert Hilfen für Palästinenser ein, Deutschland setzt Hilfen aus

  • Montag, 9. Oktober 2023
Israelische Feuerwehrleute löschen in Aschkelon im Süden Israels ein Feuer, das durch eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete ausgelöst wurde. /picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Ohad Zwigenberg
Israelische Feuerwehrleute löschen in Aschkelon im Süden Israels ein Feuer, das durch eine aus dem Gazastreifen abgefeuerte Rakete ausgelöst wurde. /picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Ohad Zwigenberg

Brüssel – Die Europäischen Union (EU) friert angesichts des Angriffs der islamistischen Terrororganisation Hamas auf Israel sämtliche Entwicklungshilfezahlungen an die Palästinenser vorerst ein. Das kündigte der zuständige EU-Kommissar Oliver Varhelyi in Brüssel über den Kurznachrichtendienst X an. Ein Sprecher der Behörde bestätigte die Entscheidung.

Es könne kein „Business as Usual“ geben, erklärte Varhelyi. Als größter Geber der Palästinenser stelle die Europäische Kommission nun ihr gesamtes Entwicklungsportfolio im Wert von 691 Millionen Euro auf den Prüfstand. Alle Projekte würden untersucht, alle neuen Haushaltsvorschläge bis auf Weiteres verschoben.

Eine Sprecherin der Kommission hatte ursprünglich gesagt, schon heute sei sehr klar, dass die EU weder direkt noch indirekt die Aktivitäten der Hamas oder anderer Terrororganisationen finanziere. Die EU habe sehr strenge Regeln zur Überprüfung der Empfänger. Alle müssten versichern, dass diese weder direkt noch indirekt an Unternehmen, Organisationen oder Personen mit Verbindung zur Hamas gingen.

Mit der EU-Hilfe für die Palästinenser wurden nach Angaben der Sprecherin bislang vor allem die Finanzie­rung wichtiger Unterstützungsleistungen für die palästinensische Bevölkerung sowie die der Autonomiebe­hörde gefördert.

Als konkrete Beispiele nannte sie den Gesundheitssektor, Sozialhilfeleistungen für arme Familien sowie Entwicklungsprojekte in Bereichen wie demokratische Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit, Wasser, Energie und wirtschaftliche Entwicklung. Zudem werde auch das Hilfswerk der Vereinten Nationen für palästinensische Flüchtlinge im Nahen Osten unterstützt, hieß es.

Nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen aus dem vergangenen Jahr sind die EU und ihre Mitgliedstaaten mit einem Beitrag von rund 600 Millionen Euro pro Jahr der größte Geldgeber der Palästinenser. Allein aus dem EU-Haushalt waren für den Zeitraum 2021 bis 2024 Finanzhilfen in Höhe von 1,18 Milliarden Euro vorgesehen.

Finanzhilfe für Palästinenser „vorübergehend ausgesetzt“

Das Entwicklungsministerium in Deutschland hat die Finanzhilfen für die Zusammenarbeit mit den palästi­nensischen Gebieten „vorübergehend ausgesetzt“. Die Programme würden nun umfassend und mit offenem Ausgang überprüft, sagte eine Sprecherin des Ministeriums heute in Berlin. Das Ministerium reagiert damit auf den Großangriff der Hamas gegen Israel.

Nach Angaben der Sprecherin waren für dieses und nächstes Jahr rund 125 Millionen Euro an bilateraler Entwicklungzusammenarbeit zugesagt. Dabei gehe es um längerfristige Entwicklungszusammenarbeit. Sie nannte Wasserversorgung und -entsorgung, eine Entsalzungsanlage, berufliche Bildung, die Schaffung von Arbeitsplätzen für junge Leute und Ernährungssicherung als Beispiele.

Zuvor hatte Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) bekräftigt, dass die Bundesregierung ihr gesamtes Engagement für die palästinensischen Gebiete auf den Prüfstand stellen werde.

Das Auswärtige Amt hatte auf der Plattform X (früher Twitter) klargemacht, dass es keine direkten Zahlungen oder Budgethilfen für die Palästinensische Autonomiebehörde gebe. „Und unsere humanitäre Hilfe für die Menschen in den Palästinensischen Gebieten wird ausschließlich projektbezogen & durch geprüfte Organi­sationen umgesetzt.“

Israel will Gebiete abriegeln

Israel hat unterdessen nach dem verheerenden Hamas-Großangriff und den Gegenschlägen mit mehr als 1.000 Toten eine komplette Abriegelung des Gazastreifens angeordnet. Die Zahl könnte angesichts vieler Schwerverletzter weiter steigen. Noch immer sollen sich einige Hamas-Kämpfer auf israelischem Boden befinden. Verteidigungsminister Joav Galant sagte heute, er habe eine entsprechende Anweisung gegeben.

„Es wird keinen Strom, keine Lebensmittel und keinen Treibstoff geben.“ Man habe es mit Barbaren zu tun und werde dementsprechend handeln. Energieminister Israel Katz verfügte zudem einen Stopp der Wasserversor­gung des Gazastreifens durch Israel. Das israelische Sicherheitskabinett hatte in der Nacht zum Sonntag be­reits einen grundsätzlichen Stopp der Einfuhr von Strom, Brennstoff und Waren in das Palästinensergebiet beschlossen.

Dies war Konsequenz eines Überraschungsangriffs, bei dem die Hamas vorgestern unter israelischen Zivilisten das schlimmste Blutbad in der Geschichte des Landes angerichtet hatte. Bewaffnete Palästinenser drangen über Land, See und Luft vor. Die von der EU, den USA und Israel als Terrororganisation eingestufte islamisti­sche Palästinenserorganisation feuerte zudem Tausende Raketen auf Israel ab. Das Land reagierte mit Gegen­angriffen.

Bei dem Großangriff auf Israel haben bewaffnete Kämpfer der Hamas nach Angaben eines israelischen Rettungsdienstes auch auf einem Musikfestival ein Massaker angerichtet. Bis zu 250 Menschen seien bei dem Angriff auf das Festival getötet worden, sagte der Sprecher des israelischen Rettungsdienstes Zaka, Moti Bukjin. Zu dem Festival in der Nähe des Kibbuz Reim nahe dem Gazastreifen hatten sich hunderte junge Israelis versammelt.

Nach Angaben der israelischen Regierung verschleppte die Hamas seit Beginn des Angriffs mindestens 100 Menschen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es gestern, es sei davon auszugehen, dass Menschen, die neben der deutschen auch die israelische Staatsangehörigkeit haben, unter den Entführten seien.

Ein israelischer Militärsprecher erklärte, es sei die Hamas, die selbst bei dem Großangriff die Übergänge nach Israel zerstört habe. Ein Grenzverkehr sei daher gegenwärtig ohnehin nicht möglich. Man werde sich auch mit dem Wiederaufbau nicht beeilen.

Im Gazastreifen leben mehr als zwei Millionen Menschen nach UN-Angaben unter sehr schlechten Bedingun­gen. Der Gazastreifen zieht sich über eine Länge von etwa 40 Kilometer am Mittelmeer entlang und ist etwa sechs bis zwölf Kilometer breit. Die Fläche ist etwas größer als die von München.

Die Hamas hatte 2007 gewaltsam die alleinige Macht an sich gerissen. Israel verschärfte daraufhin eine Blockade des Küstengebiets, die von Ägypten mitgetragen wird. Es ist unklar, ob Kairo etwa humanitäre Transporte in den Gazastreifen über die ägyptische Grenze genehmigen würde.

dpa/afp

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