Politik

Lauterbach will Durchbruch bei elektronischer Patientenakte und E-Rezept erzwingen

  • Donnerstag, 9. März 2023
Michael Hallek, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (li.), und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei der heutigen Bundespressekonferenz zum Thema „Digitalisierungsstrategie für Gesundheit und Pflege“. /picture alliance, Geisler-Fotopress, Frederic Kern
Michael Hallek, Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (li.), und Karl Lauterbach bei der heutigen Bundespressekonferenz zum Thema „Digitalisierungsstrategie für Gesundheit und Pflege“. /picture alliance, Geisler-Fotopress, Frederic Kern

Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will der elektronischen Patientenakte (ePA) und der elektronischen Verordnung (E-Rezept) mit einem neuen Digitalgesetz zum Durchbruch verhelfen. Im Wind­schatten sollen auch die Telemedizin ausgebaut, die Arzneimittelsicherheit erhöht und Datenschützer entmachtet werden.

Er werde endlich das Versprechen von Ulla Schmidt (SPD) einlösen, erklärte Lauterbach heute in Berlin: Seine Par­tei­kollegin hatte als Bundesgesundheitsministerin – und unter Lauterbachs Beteiligung – vor 20 Jahren die Weichen für die Einführung der ePA gestellt. Nur war seitdem nicht mehr viel passiert und das, was passierte, hat nicht funktioniert.

„Wir sind da überhaupt nicht weitergekommen“, klagte Lauterbach. Deshalb hätten heute unter einem Prozent der gesetzlich Krankenversicherten eine ePA – und die wenigen, die eine hätten, würden sie nicht nutzen.

Einer der Hauptgründe sei der komplizierte Zugang, wie Lauterbach erklärte: Bisher müssen sich Interessen­ten selbst an ihre Krankenkassen wenden und eine ePA beantragen. Das soll sich mit dem heute angekündig­ten Digitalgesetz ändern.

Statt dem bisherigen Opt-in soll dann ein Opt-out-Verfahren eingeführt werden: Jede und jeder Versicherte erhält dann automatisch eine ePA angeboten und kann widersprechen. „Das ist ein Automatismus. Man muss sich dann nicht mehr umständlich bewerben“, erklärte Lauterbach.

Dabei sollen die Versicherten vom Smartphone aus auf ihre Daten zugreifen und sie managen können. Das sogenannte feingranulare Zugriffsmanagement, bei dem Versicherte bis auf die Ebene einzelner Dokumente entscheiden können, welche Ärztin oder welcher Arzt sie sehen oder nicht sehen kann, soll erhalten bleiben.

Aus ärztlicher Sicht wiederum werde sich nicht allzu viel ändern, beteuerte Lauterbach: „Die Dokumentation der Behandlung ist ja ohnehin Teil der ärztlichen Tätigkeit.“ Es müssten bis dahin Softwarelösungen imple­men­tiert werden, die eine automatische Einspeisung der Daten in die ePA aus den Praxisverwaltungssyste­men (PVS) gewährleisten.

Noch nicht geklärt sei hingegen, ob und vor allem wie Befunde und Diagnosen aus der Vergangenheit Ein­gang in die ePA aufgenommen werden können. „Die Frage, wie alte Daten hineinkommen, ist noch nicht ge­löst“, räumte Lauterbach ein. Priorität hätten erst einmal aktuelle Daten – das sei ohnehin wichtiger.

Die Gesellschafterversammlung der Gematik hat nach Informationen des Deutschen Ärzteblatts bereits am Montag den Beschluss gefasst, die Gematik mit der Vorbereitung der Spezifikationen für das Verfahren zu beauftragen. Sobald der Referentenentwurf vorliegt – laut Lauterbach wird das nach letzten Abstimmungen schon in den kommenden Wochen erfolgen – soll sie sofort mit der Spezifikationsentwicklung beginnen.

Widerstand könnte es dagegen vom Bundesdatenschutzbeauftragten (BfDI) Ulrich Kelber geben: In seiner Behörde gibt es starke Vorbehalte gegen das Opt-out-Verfahren. So wie in der Vergangenheit wird er dabei aber nach Lauterbachs Willen allerdings nicht mehr agieren können.

Denn mit dem Digitalgesetz soll er entmachtet werden. Er wolle dem BfDI und dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationssicherheit (BSI) ihre „klassischen Vetorechte“ entziehen, erklärte Lauterbach auf Nachfrage. Das bisherige Einvernehmen der beiden Behörden soll dann keine Voraussetzung mehr für Neuregelungen sein.

Stattdessen soll künftig ein interdisziplinärer Ausschuss, der unter anderem mit Vertreterinnen und Vertretern von BfDI, BSI, Medizin und Ethik besetzt ist, die Gematik bei allen Entscheidungen mit Empfehlungen zu Fragen von Datenschutz, -sicherheit, -nutzung und der Anwenderfreundlichkeit beraten.

Davon unberührt wären die Landesdatenschutzbehörden – die bei der E-Rezept-Einführung bereits zweimal den Stecker gezogen haben. Lauterbach zeigte sich optimistisch, dass das nicht erneut passiert. „Es wird Unterschiede geben in den einzelnen Bundesländern, aber ich hoffe, dass auch da am Ende die Vernunft siegt“, sagte Lauterbach.

Allerdings rechne er ohnehin nicht mit einer ePA-Debatte. In der Bevölkerung erwarte er keinen Widerstand. In Österreich, wo das Opt-out-Verfahren bereits etabliert ist, gebe es nur eine Ablehnungsquote von drei Prozent. In Deutschland seien ähnliche Werte zu erwarten.

Entmachtet werden soll auch die Selbstverwaltung im Gesundheitssystem, indem die Gematik in eine hun­dertprozentige Trägerschaft des Bundes überführt wird. Aus ihr soll eine Digitalagentur mit gestärkter Handlungsfähigkeit werden.

Den –­ dann wohl folgenlosen – Protest des BfDI könnte sich Lauterbach auch beim Thema E-Rezept einhan­deln: Das soll nämlich nicht nur zum 1. Januar 2024 zur Pflichtanwendung werden, sondern neben der elek­tronischen Gesundheitskarte auch über die ePA-Apps der Krankenkassen eingelöst werden können.

Mithilfe von ePA und E-Rezept soll sich eine weitere Anwendung mit Mehrwert etablieren: Teil möglichst jeder ePA soll eine vollständige, weitestgehend automatisiert erstellte Medikationsübersicht sein. Dadurch sollen insbesondere ungewollte Wechselwirkungen verhindert werden.

Auch Disease-Management-Programme (DMP) sollen digital gestärkt werden: So will das BMG exemplarische, digital unterstützte mit integralen digitalen Bestand­teilen wie Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA) oder ePA konzipieren – sogenannte digitale DMP (dDMP).

Einen leichteren Zugang will Lauterbach wiederum für telemedizinische Leistungen. Stichwort ist die assis­tierte Telemedizin: Nicht-ärztliches Gesundheitsfachpersonal – zum Beispiel in Apotheken und Gesundheits­kiosken – soll Patientinnen und Patienten bei Inanspruchnahme und Durchführung unterstützen.

Ob Lauterbach, anders als ihrerzeit Ulla Schmidt, mit dem Vorhaben erfolgreich ist, soll sich spätestens in drei Jahren eindeutig beantworten lassen. Denn er knüpft seine Gesetzesvorhaben an quantifizierbare Erfolgs­kri­terien.

So sollen bis 2025 80 Prozent der gesetzlich Versicherten eine ePA haben und bis Ende 2025 ebenfalls 80 Prozent der ePA-Nutzer, die in medikamentöser Behandlung sind, über eine digitale Medikationsübersicht verfügen. Bis 2026 wiederum soll es in mindestens 60 Prozent der hausärztlich unterversorgten Regionen eine Anlaufstelle für assis­tierte Telemedizin geben.

lau

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