Eklat im Gesundheitsausschuss: AfD besetzt Platz der Vorsitzenden

Berlin – Provozierter Eklat im Gesundheitsausschuss im Bundestag: Zu Beginn der heutigen 100. Sitzung hatte der AfD-Abgeordnete Kay-Uwe Ziegler den Sitzplatz der amtierenden Ausschussvorsitzenden Kristen Kappert-Gonther (Grüne) eingenommen und Anspruch auf den Vorsitz des Ausschusses erhoben. Er ließ Zettel mit einer Begründung, warum er zum Vorsitzenden von seiner Fraktion „bestimmt“ wurde, verteilen. Die amtierende Ausschussvorsitzende Kappert-Gonther verurteilte die Aktion, die rund 30 Minuten dauerte, deutlich: „Die versuchte Selbstermächtigung über die Ausschussleitung ist ein Angriff gegen die Demokratie.“ Seit zwei Jahren versucht die AfD in jeder Sitzung erfolglos, einen Kandidaten für die Leitung des Ausschusses durchzusetzen.
Nach mehreren und übereinstimmenden Berichten von Teilnehmenden, soll Ziegler sich gegen 9.15 Uhr auf den Platz des Ausschussvorsitzes gesetzt und dabei ein selbstgebasteltes Schild „Ausschussvorsitz“ aufgestellt haben. Auf der Zuschauertribüne, die bei nicht-öffentlichen Sitzungen nur von Mitarbeitern der Bundestagsabgeordneten besetzt werden darf, sollen Fotos von der Aktion gemacht worden sein, hieß es. Fotos sind laut Hausordnung des Bundestages weder in nicht-öffentlichen noch in öffentlichen Sitzungen von der Tribüne aus gestattet.
Die Mitglieder des Ausschusses, die zu dieser Zeit bereits im Raum waren, forderten das zuständige Ausschusssekretariat auf, Klarheit über den Vorgang zu schaffen. Zeitgleich wurden Zettel auf den Plätzen der anderen Mitglieder des Ausschusses verteilt, auf denen der gesundheitspolitische Sprecher der AfD, Martin Sichert, sowie Ziegler erklärten, ihre Fraktion habe Ziegler als Vorsitzenden „bestimmt“ und dieser übernehme den Vorsitz des Ausschusses. In einer späteren Mitteilung sprach Sichert von einem „Boykott“ und warf den anderen Fraktionen eine „destruktive Haltung“ vor. Es werde verhindert, „die uns gemäß Geschäftsordnung des Bundestages und Vereinbarungen im Ältestenrat zustehenden Ausschussvorsitze mit Leben zu erfüllen“, sagte er.
Die amtierende Ausschussvorsitzende war zu dem Zeitpunkt noch nicht im Raum, blieb bei Ankunft auch draußen stehen. Insgesamt sollen die Mitglieder aller demokratischen Fraktionen und auch der beiden Gruppen den Raum verlassen und draußen gewartet haben, so dass die Sitzung nicht wie geplant um 9.30 Uhr starten konnte. Vor dem Raum soll es zu großer Aufregung unter den Abgeordneten gekommen sein, „rote Linien werden hier überschritten“, hieß es. Die amtierende Ausschussvorsitzende Kappert-Gonther soll die Lage souverän und ruhig gehandhabt haben, berichten Teilnehmende. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christos Pantazis wertet es als „starkes Zeichen“, dass alle Abgeordneten der Fraktionen und Gruppen zusammen agiert hätten.
Mehrfach soll Ziegler dann vom Ausschusssekretariat aufgefordert worden sein, den Platz zu verlassen. Er soll sich gegen 9.45 Uhr bewegt haben, nachdem angekündigt wurde, die Bundestagspolizei sei inzwischen informiert. Der Ausschuss konnte dann gegen 9.45 Uhr mit der regulären Sitzung beginnen.
„Die Störversuche der AfD heute im Gesundheitsausschuss waren eine massive Grenzüberschreitung“, sagte Kappert-Gonther im Anschluss an die Sitzung. „Als amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses erlebe ich es nicht zum ersten Mal, dass die AfD versucht, den Ablauf der Sitzung zu stören.“ Sie bewertet die Aktion als deutliches Zeichen: „Die AfD hat ihre Ignoranz und Missachtung der demokratischen Regeln und Gepflogenheiten in einer neuen Qualität demonstriert. Der Ausschuss wurde dadurch in seiner Arbeit erheblich gestört“, so Kappert-Gonther weiter.
In jeder Sitzung des Gesundheitsausschusses, der in einer Sitzungswoche des Bundestages am Mittwochmorgen tagt, wird seit Januar 2022 über den Vorsitz des Gesundheitsausschusses abgestimmt. Nach der Bundestagswahl 2021 hatte die AfD insgesamt drei Ausschüsse für den Vorsitz zugeteilt bekommen – darunter auch der Gesundheitsausschuss. Da bei jeder Wahl der jeweilige Personalvorschlag keine Mehrheit findet, liegt die Leitung seit über zwei Jahren bei der stellvertretenden und damit amtierenden Vorsitzenden Kappert-Gonther. „Der Ausschuss hat vielfach geheime, demokratische Wahlen über den Vorsitz durchgeführt. Kein Kandidat der AfD bekam eine Mehrheit“, erklärte die Grünen-Politikerin.
Die AfD klagt vor dem Bundesverfassungsgericht dagegen, keinen der drei Ausschussvorsitze ausführen zu können. Sie sieht damit auch ihre Gleichbehandlung als Fraktion verletzt. Die mündliche Verhandlung findet dazu kommende Woche Mittwoch (20. März) statt. Mit einem Urteil ist an dem Tag noch nicht zu rechnen, auch sei unklar, wann das Urteil fallen wird, teilte das Gericht dem Deutschen Ärzteblatt mit.
Ein ungutes Gefühl im Vorfeld der Ausschusssitzung hatte der SPD-Abgeordnete Pantazis bereits gestern: In der üblichen gestern tagenden Runde der Obleute aller Fraktionen stand das Thema „Wahl des Ausschussvorsitzenden“ erstmals nicht auf der Tagesordnung, berichtet Pantazis dem Deutschen Ärzteblatt. „In der Sitzung wurde das auch noch einmal bestätigt, dass man im Ausschuss heute den Tagesordnungspunkt seitens der AfD nicht aufrufe“, so Pantazis. „Für mich zeigt sich, dass die ganze Aktion von langer Hand geplant wurde: Szenario der Besetzung nutzen, um Bilder zu produzieren und die Aufmerksamkeitsökonomie in ihrem Sinne zu nutzen“, so Pantazis weiter.
Der SPD-Abgeordnete Matthias Mieves schreibt in einem Sozialen Netzwerk: „Das ist ein klares Muster und Vorgehen und zeigt, dass die AfD demokratische Wahlen nicht anerkennt und im Zweifel Gremien besetzt.“ Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen, Janosch Dahmen, erklärte: „Solche ‚Putsch‘-Übungen zeigen, wie gefährlich diese Partei ist.“ Auch der gesundheitspolitische Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Tino Sorge, kritisiert die Aktion: „Morgendliche Sitzblockaden sind der Würde des Parlaments nicht angemessen. Den Ausschussbetrieb im Deutschen Bundestag zu stören, hat mit demokratischen Gepflogenheiten nichts zu tun“, so Sorge auf Anfrage. Wer die Beratungen mit wichtigen Fragen zur medizinischen Versorgung derart störe, habe „kein ernsthaftes Interesse an konstruktiver Fachpolitik“, erklärte er weiter. Mit Blick auf die juristischen Streitigkeiten um den Ausschussvorsitz mahnte er, es solle die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts abgewartet werden. „Das würde allen Beteiligten Klarheit verschaffen.“
Der Vorgang wurde mit den parlamentarischen Geschäftsführern der Fraktionen besprochen, es soll auch noch einmal in der Obleutesitzung im Gesundheitsausschuss Thema werden. „Konsequenzen werden geprüft“, teilte Kappert-Gonther mit. Womöglich wird sich der Ältestenrat des Bundestages mit dem Vorfall beschäftigen.
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