Politik

Acht-Punkte-Plan und eindringlicher Appell der Kanzlerin an junge Menschen

  • Freitag, 9. Oktober 2020
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) /picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Axel Schmidt
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) /picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Axel Schmidt

Berlin – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat heute eindringlich an das Verantwor­tungsbewusstsein junger Men­schen in der Coronapandemie appelliert. „Denken auch Sie einmal an das, was Ihnen am wichtigsten ist", sagte Merkel heute nach einem Treffen mit den Ober­bürgermeistern und Bürgermeistern der elf größten Städte Deutschlands.

Dazu gehörten sicher die Gesundheit der Großeltern und der Familie, eine gute Ausbil­dungs- und Jobchance im kommenden Jahr. „Ist es dafür nicht wert, jetzt ein wenig ge­duldig zu sein?“, so Merkel weiter.

Wenn irgendmöglich dürfe das wirtschaftliche und öffentliche Leben nicht wieder herun­tergefahren werden. Die Schulen müssten, wenn irgendmöglich, offen bleiben, bekräftig­te die Kanzlerin. Schulen und Wirtschaft hätten Vorrang. Feiern, Ausgehen und Spaß ohne Coronaregeln kämen sicher wieder, jetzt zählten aber Zusammenhalt und Achtsamkeit.

Bundeswehr und RKI gefragt

Die Kanzlerin hatte sich mit den Bürgermeistern auf weitere Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung beraten, nachdem die Infektionszahlen, darunter in einigen Großstädten wie Berlin und Frankfurt am Main, sprunghaft angestiegen waren.

Unter anderem sollen die Bundeswehr sowie Experten des Robert Koch-Instituts spätes­tens ab 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner bei der Kontaktverfolgung helfen, heißt es in einem heute vorgelegten Beschlusspapier. Auch der Gesundheitsdienst soll gestärkt werden, womöglich mit weiteren Medizinstu­dierenden.

Ab 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner sieht der Beschluss zudem weitere Ein­schränkungen vor, darunter eine erweiterte Pflicht, eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tra­gen, Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum, gegebenenfalls eine Sperrstunde und Al­koholbeschränkungen für Gastronomiebetriebe sowie weitere Beschränkungen der Teil­nehmerzahlen für Veranstaltungen und für Feiern, auch im privaten Rahmen.

Besonders geschützt, aber nicht isoliert werden sollen weiterhin vulnerable Gruppen durch besondere Schutzvorkehrungen in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Senioren- und Behinderteneinrichtungen. Auch mehr Tests und Schnelltests in Heimen und Kranken­häusern sind geplant.

Nicht das Ende der Maßnahmen

Falls der Anstieg binnen zehn Tagen nicht zum Stillstand kommt, seien „weitere gezielte Beschränkungsschritte unvermeidlich“, heißt es in dem Papier weiter. Diese „zusätzlichen regionalen Beschränkungsmaßnahmen“ sollten dann greifen, „wenn die Kontaktnach­ver­folgung absehbar aufgrund der hohen Inzidenz nicht mehr vollständig möglich ist“.

Merkel zeigte sich besorgt über die deutlich steigenden Infektionszahlen in den Städten. „Die Großstädte und die Ballungsräume sind der Schauplatz, wo wir sehen, ob wir die Pandemie unter Kontrolle halten können oder ob uns die Kontrolle entgleitet“, sagte sie.

„Es ist im Sommer gut gegangen, jetzt sehen wir ein anderes besorgniserregendes Bild.“ Sollte die Kontaktnachverfolgung nicht mehr möglich sein, „werden uns die Infektions­zahlen davonrennen“, warnte sie.

Wert wieder höher als 4.000

Die Zahl der Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 hat heute ein weiteres Mal über der Marke von 4.000 gelegen. Innerhalb eines Tages meldeten die Gesundheitsämter in Deutschland nach Angaben des Robert-Koch-Instituts von heute Morgen 4.516 neue Infektionen. Von vorgestern auf gestern war der Wert von 2.828 auf 4.058 erheblich angestiegen.

Für eine konkrete Schlussfolgerung sei es noch zu früh, hatte der Epidemiologe Gérard Krause vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig gestern gesagt. „Wir haben immer wieder sprunghafte Anstiege, die sich nicht notwendigerweise als Vor­bote eines exponentiellen Anstiegs herausstellen.“ Er riet, weitere Daten zu berücksich­ti­gen. „Wir müssen mehr auf die Erkrankungszahlen statt auf die reinen Laborbefunde schauen.“ Die Belegung der Intensivstationen sei ein weiterer wichtiger Indikator.

Bei den intensivmedizinisch behandelten COVID-19-Patienten zeichnet sich derzeit ein merklicher Anstieg ab, noch sind aber viele Betten frei. Laut aktuellem RKI-Lagebericht wurden gestern 487 Coronainfizierte intensivmedizinisch behandelt, 239 davon wurden beatmet. Eine Woche zuvor (1.10.) hatte der Wert noch bei 362 (193 beatmet) gelegen, in der Woche davor (24.9.) bei 296 (166 beatmet). Rund 8.500 Intensivbetten sind in den deutschen Kliniken derzeit noch frei.

Die höchste Zahl vom RKI erfasster Neuinfektionen hatte es Ende März, Anfang April ge­geben, als der Wert mehrfach über 6.000 lag. Der bisherige Höchstwert war 6.294 am 28. März. An dem Tag wurden 325 Todesfälle gemeldet – am Freitag waren es 11. Zu beach­ten ist bei dem Vergleich, dass die Dunkelziffer nicht erfasster Fälle im Frühjahr sehr wah­rscheinlich deutlich höher war als derzeit, weil noch wesentlich weniger Tests durch­geführt wurden.

„Das Virus hat sich nicht verändert“, betonte heute auch der Berliner Virologe Christian Drosten. Die Infektionssterblichkeit – wie viele der Angesteckten sterben – liege in Deutschland bei einem Prozent oder etwas mehr, falls das Virus durch die gesamte Be­völkerung durch­laufe. Drosten appellierte an alle Menschen mitzuhelfen.

Das Effizienteste gegen eine Coronaausbreitung sei eine Kombination aus Maskentragen und gezielten Maßnahmen gegen Cluster, sagte der Direktor des Instituts für Virologie an der Charité in Berlin. Die jetzigen Maßnahmen seien schon dafür geeignet. Mit einem Cluster-Kontakttagebuch etwa könne man sehen, wo man sich vor sieben bis zehn Tagen infiziert habe. „Das ist eine sehr wert­volle Information an das Gesundheitsamt.“

Entscheidend sei die Informiertheit der Bevölkerung. „Die Kooperation, das Verständnis jedes Einzelnen oder jeder Einzelnen, dieses Treffen von richtigen Entscheidungen im Alltag, weil man es verstanden hat, das ist das, was uns retten wird vor einer schwierigen Situation.“

Seit Beginn der Coronakrise haben sich nach RKI-Angaben mindestens 314.660 Men­schen in Deutschland nachweislich mit dem Virus SARS-CoV-2 infiziert (Datenstand 9.10., 0.00 Uhr). Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Coronainfektion lag demnach bei 9.589. Rund 271.800 Menschen haben die Infektion nach RKI-Schätzungen überstanden.

afp/dpa/kna/may

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