Ärzteschaft

Ärzte wollen gegen niedrige Influenza-Impfquote vorgehen

  • Donnerstag, 26. September 2019
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Berlin – Trotz vielfältigen Impfkampagnen in jedem Herbst erreicht Deutschland mit einer Teilnehmerrate von circa 35 Prozent nicht einmal die Hälfte der von der Weltge­sund­heitsorganisation (WHO) vorgegebenen Zielmarke von 75 Prozent bei den über 60-Jäh­ri­gen. Diese Lücke zu schließen, hat sich das heute in Berlin vorgestellte „Projekt: Grippe­schutz“ auf die Fahnen geschrieben.

Entstanden ist das Projekt auf Initiative von vier Ärzten, logistisch und finanziell un­ter­stützt wird es von dem Grippeimpfstoffhersteller Seqirus in Wiebaden. Thomas Weinke, einer der Initiatoren, betonte bei einer Pressekonferenz, dass das „derzeitige Verfahren der Grippeprävention in Deutschland ganz offensichtlich nicht funktioniert“.

Denn nicht nur die über 60-Jährigen lassen sich nicht impfen: Auch bei den chronisch Kranken liegen die Impfquoten bei nur 27 bis 40 Prozent. „Und wir müssen uns auch an die eigene Nase fassen“, so der Potsdamer Gastroenterologe und Infektiologe, denn auch circa 40 Prozent der Ärzte sei nicht gegen Influenza geimpft.

Als einen der Hauptgründe für die niedrigen Impfraten haben Weinke und seine Mitinitia­toren „falsche Signale durch die STIKO-Indikationen“ ausgemacht. Dass die STIKO die Im­pfung gegen Influenza derzeit nur für ältere Personen und Menschen mit bestimmten Er­krankungen empfehle, vermittle den Eindruck, dass die Infektion für jüngere, gesunde Menschen keine Gefahr darstelle, sagte Klaus Wahle. Der Allgemeinmediziner aus Müns­ter war selbst von 2004 bis 2001 Mitglied der STIKO. „Wir wollen die Grippeschutz­im­pfung für alle“, stellte er eine der Forderungen des Projekts klar.

„Die Influenza ist die gefährlichste Infektionskrankheit, die wir haben“, ergänzte Barbara Gärtner. Die leitende Oberärztin am Institut für Mikrobiologie und Infektionsepidemio­lo­gie in Homburg an der Saar berichtete, dass in der Grippesaison 2017/2018 geschätzt mehr als 26.000 Menschen in Deutschland durch eine Influenza verstorben sind. „Darun­ter waren mehrere hundert Kinder, selbst solche, die vorher ganz gesund waren“, betonte sie. „An Masern – für die gerade eine allgemeine Impfpflicht diskutiert wird – sind in den letzten zwölf Jahren 29 Menschen gestorben.“

Komplikationen werden unterschätzt

Geschätzt werden muss die Mortalität, da die Influenza selten auf dem Totenschein zu finden ist. Meist sind es die Sekundärkomplikationen, die letztlich zum Tod führen, allen voran die bakterielle Pneumonie. Generell würden diese schweren Folgen einer Influenza oft unterschätzt, so Weinke. Nur wenige Menschen wüssten beispielsweise, dass eine In­flu­enza – bei entsprechenden Vorerkrankungen – auch zu Schlaganfällen, Herzinfarkten oder Diabetesentgleisungen führen könne.

Unterschätzt wird die Influenza allerdings nicht nur von der Allgemeinbevölkerung: „Ärz­te raten ihren Patienten zu selten zur Grippeschutzimpfung“, sagte Wahle und kritisierte, dass Mediziner schon in der Ausbildung rein auf „kurative Medizin getrimmt“ würden, und keine Chance hätten, Prävention zu begreifen und zu lernen.

Außerdem stelle das „Erstattungs-Wirrwarr“ bei der Grippeschutzimpfung ein massives Hindernis dar. „Der Arzt muss bei jedem Patienten recherchieren, ob die Krankenkasse die Impfung erstattet“, erklärte Wahle. Es fehle an Rechtssicherheit, und dies nicht nur dahin­gehend, ob auf GKV-Kosten geimpft werden kann, sondern auch mit welchem Impfstoff.

Die Effektivitätsrate der Grippeschutzimpfung ist bekanntlich im Vergleich zu anderen Impfungen nicht sehr hoch – und hängt stark davon ab, wie gut der aktuelle saisonale Impfstoff zu den zirkulierenden Influenzaviren passt. Aber auch die Auswahl des Impf­stoffes spiele eine wichtige Rolle, so Wahle. „Wir fordern, dass der Arzt entscheidet, wel­cher Impfstoff abhängig vom individuellen Patientenrisiko am besten geeignet ist.“

Ältere brauchen anderen Impfstoff

Aktuell erlaube die STIKO-Empfehlung und das Mandat des wirtschaftlichen Handelns nur die Verwendung des quadrivalenter Polysaccharid-Impfstoff und dies für alle Patien­ten. Das stellt nicht nur, aber insbesondere bei der medizinischen Versorgung älterer Menschen ein Problem dar: Bei geriatrischen Patienten ist die Immunantwort zusätzlich eingeschränkt, so dass mit der Impfung ein noch geringerer Impfschutz erreicht wird.

„Es macht trotzdem Sinn, diese Gruppe zu impfen“, betonte Anja Kwetkat, die am Univer­sitäsklinikum Jena die Klinik für Geriatrie leitet. Sowohl die Hospitalisierungsrate als auch die Gesamtmortalität sinke durch die Impfung deutlich.

„Aber wir könnten noch mehr erreichen, wenn wir für diese Gruppe von Patienten andere Impfstoffe verwenden könnten, etwa den adjuvantierten, trivalenten Influenzaimpfstoff, der per se eine stärkere Immunantwort induziert“, sagte die vierte Initiatorin des Projekts. Daten aus England, wo dieser Impfstoff bei Älteren verwendet werden könne, zeigten eine signifikant bessere Impfeffektivität als mit dem nicht-adjuvantierten quadrivalenten Impfstoff.

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