Ärztlich assistierte Selbsttötung: Onkologen fordern Rechtssicherheit

Berlin – 47 Prozent der Onkologinnen und Onkologen lehnen die Beihilfe zu einer Selbsttötung ab. 16 Prozent unterstützt einen ärztlich assistierten Suizid generell und 30 Prozent unter bestimmten Bedingungen. Das geht aus einer Umfrage der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) hervor, deren Ergebnisse heute vorgestellt wurden und an der 745 Mitglieder der DGHO teilgenommen haben.
Die Onkologinnen und Onkologen, die einen Beihilfe unter bestimmten Bedingungen in Erwägung ziehen, würden bei einem Suizid assistieren, wenn bei den betroffenen Patientinnen und Patienten ein unkontrollierbares Leiden vorliegt (84 Prozent von ihnen machten diese Angabe) oder wenn klar ist, dass eine Freiverantwortlichkeit der Patienten vorliegt – dass die Entscheidung also nach freiem Willen getroffen wurde (84 Prozent).
Bislang haben sich der Umfrage zufolge jedoch nur drei Prozent der Teilnehmenden an einer ärztlich assistierten Selbsttötung beteiligt. Bereits 40 Prozent wurden von ihren Patientinnen und Patienten allerdings auf das Thema angesprochen.
Die meisten der Patienten befanden sich dabei in einer palliativen Situation ohne eine Option auf eine Tumortherapie (77 Prozent). 51 Prozent befanden sich in einer palliativen Situation mit Option auf eine Tumortherapie, 29 Prozent in einer kritischen Situation während einer Tumortherapie und zwölf Prozent äußerten die Anfrage während der Diagnosestellung.
Die DGHO hat die Umfrage vor dem Hintergrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils aus dem Jahr 2020 durchgeführt. Damals hatte das Gericht das im Paragraph 217 StGB enthaltene Verbot einer geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für nichtig erklärt und betont: „Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließt die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen.“ Diese Freiheit umfasse auch die Freiheit, dafür bei Dritten Hilfe zu suchen und Hilfe, soweit diese angeboten werde, in Anspruch zu nehmen.
Der Geschäftsführende Vorsitzende der DGHO und Direktor der Medizinischen Klinik II des Universitätsklinikums Würzburg, Hermann Einsele, erklärte, dass es für Onkologinnen und Onkologen wichtig sei, sich mit dem ärztlich assistierten Suizid auseinanderzusetzen. Denn sie begleiteten besonders viele Menschen in der Endphase ihres Lebens.
Zahl der Suizidwilligen wird steigen
„Auch, wenn die assistierte Selbsttötung nur von wenigen Menschen ernstlich in Erwägung gezogen wird, gehen wir davon aus, dass Ärztinnen und Ärzte in der Hämatologie und Onkologie in Zukunft häufiger mit entsprechenden Anfragen konfrontiert werden“, meinte auch Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
So habe sich in der Schweiz die Zahl der assistierten Selbsttötungen seit 2010 etwa verdreifacht und mache mit einer Fallzahl von 1.201 im Jahr 2020 heute knapp zwei Prozent aller Todesfälle in der Schweiz aus. Auf Deutschland übertragen wären das etwa 20.000 Fälle.
Schildmann betonte: „Die Frage lautet nun: Wie können wir einen ärztlich assistierten Suizid angemessen gestalten?“ Eine wichtige Frage sei zum Beispiel, wer mit welchen Methoden die Freiverantwortlichkeit prüfe. „Es muss geklärt werden, wer die Beratung der suizidwilligen Patienten durchführen und welche Fristen es dabei geben soll“, so Schildmann.
„Das ist bedeutsam, weil wir wissen, dass sich ein Sterbewunsch über die Zeit verändern kann. Und schließlich: Wie soll die Abgabe der todbringenden Substanz erfolgen? Soll der assistierte Suizid zu einer vorab definierten Zeit und an einem vorab definierten Ort stattfinden oder soll der Patient die Substanz erhalten und selbst entscheiden, wann er sie einnimmt?“
DGHO: Ärzte brauchen Handlungsspielraum
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber in seinem Urteil aufgegeben, das Thema Sterbehilfe gesetzlich zu regeln. „Mit Blick auf die Schaffung eines rechtlichen Rahmens ist es für uns als wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaft besonders wichtig, dass eine gesetzliche Regelung – wie auch immer sie ausgestaltet sein mag – dem komplexen Thema der assistierten Selbsttötung Rechnung tragen muss“, forderte Einsele. „Für Ärztinnen und Ärzte braucht es neben Rechtssicherheit immer auch Handlungsspielraum.“
Angesichts der Komplexität des Themas betonte Einsele auch, dass die DGHO eine juristische Verortung der assistierten Selbsttötung im Strafgesetzbuch nicht für sinnvoll hält. Vielmehr plädiere die Fachgesellschaft für Aus-, Fort- und Weiterbildung zum professionellen Umgang mit Sterbewünschen sowie für Qualitätssicherung und Forschung. Das helfe bei der Differenzierung und Einordnung individueller Gründe und Umstände für den Wunsch nach assistierter Selbsttötung.
Meinungen über Beratung und Bedenkzeit variieren
Bei der Umfrage sprachen sich 34 Prozent der Teilnehmenden dafür aus, dass die Beratung der suizidwilligen Patienten ausschließlich von einer Ärztin oder einem Arzt durchgeführt werden soll. 46 Prozent befürworteten, dass die Beratung von einem Arzt durchgeführt werden kann. Elf Prozent meinten, sie solle nicht von einem Arzt vorgenommen werden.
52 Prozent der Befragten sprachen sich zudem dafür aus, dass Ärzte, die eine Assistenz bei der Selbsttötung anbieten, über ihr Angebot informieren dürfen. 41 Prozent sind dagegen. Die meisten Teilnehmenden befürworteten darüber hinaus, dass die Bedenkzeit für Patienten 14 Tage betragen soll (36 Prozent). 31 Prozent meinten, die Bedenkzeit solle 72 Stunden betragen. 16 Prozent sprachen sich für 30 Tage aus.
Drei Entwürfe liegen vor
Bislang liegen drei Gesetzentwürfe vor, mit denen die Sterbehilfe gesetzlich geregelt werden soll. Der Entwurf der Politiker Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) sieht vor, die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung grundsätzlich wieder unter Strafe zu stellen.
Ausnahmen sollen für die Assistenz bei suizidwilligen Volljährigen gelten, wenn diese mindestens zweimal von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie untersucht worden sind und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert haben.
Ein Antrag der Grünen-Politikerinnen Renate Künast und Katja Keul sieht vor, dass Ärztinnen und Ärzte ein Medikament für den Suizid verschreiben können, wenn sich Sterbewillige in einer medizinischen Notlage befinden und sich einer wiederholten Beratung unterzogen haben.
Bei einem Sterbewunsch aus anderen Gründen sollen höhere Anforderungen zum Nachweis der Dauerhaftigkeit des Entschlusses gelten, die eine Landesbehörde überprüfen soll. Der dritte Antrag, der von Katrin Helling-Plahr (FDP) und Petra Sitte (Die Linken) stammt, sieht vor, dass eine Hilfe zur Selbsttötung straffrei möglich ist.
Am 24. Juni dieses Jahres diskutierten die Abgeordneten des Bundestags in erster Lesung über die drei Gesetzentwürfe. Alle Antragstellerinnen und Antragsteller würden sich wünschen, dass der Bundestag sich noch in diesem Jahr für einen der Entwürfe entscheidet, meinte Renate Künast heute bei der DGHO. In jedem Fall sei es nun die Aufgabe des Bundestags, klare Leitplanken aufzustellen, die bundesweit gelten.
Künast betonte, dass es kein Recht auf eine ärztliche Assistenz bei der Selbsttötung gebe. „Ärzte können nicht zu einer Teilnahme verpflichtet werden“, sagte sie. „Es kann daher sein, dass sich eine Patientin oder ein Patient eine ärztlich assistierte Selbsttötung wünscht, aber keinen Arzt findet, der diese vornehmen möchte. Diese Lücken müssen wir dann aushalten.“
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