Medizin

Altes Antihypertonikum wird neues Zweit­linien-Medikament bei ADHS

  • Montag, 27. Juli 2015

London – Der zentral wirkende Alpha2A-Rezeptor-Agonist Guanfacin, der zur gleichen Wirkstoffgruppe wie das früher häufig eingesetzte Antihypertonikum Clonidin gehört, wird demnächst die Therapieoptionen bei der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ADHS erweitern. Die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) hat am Freitag grünes Licht für die Zulassung von Intuniv gegeben, das den Wirkstoff in einer Formulierung mit verzögerter Freisetzung enthält. In den USA wird er seit Jahren eingesetzt. Dort gibt es auch ein vergleichbares Präparat mit dem Wirkstoff Clonidin.  

Clonidin war als Catapresan in den 1980er Jahren ein beliebtes Antihypertonikum. Als Generikum wird es weiter in Deutschland angeboten, gehört aber wegen seiner zentral­nervösen Nebenwirkungen schon lange nicht mehr zu den bevorzugten Mitteln. Guanfacin wurde in den 1970er Jahren als Alternative zu Clonidin entwickelt. Sein Wirkungsmechanismus ist ähnlich und es wurde als Estulic in verschiedenen Ländern als Antihypertensivum angeboten (in Russland noch heute).

Beide Mittel sind in der Lage, die Symptome beim ADHS zu lindern. Wie die Wirkung zustande kommt, ist nicht genau bekannt. Es wird aber vermutet, dass eine Stimulierung von alpha2A-adrenergen Rezeptoren im präfrontalen Cortex eine Rolle spielt. Diese Region beeinflusst kognitive Funktionen wie Aufmerksamkeit und soziale Verhaltens­weisen, die für das ADHS von Bedeutung sind.

In den USA ist Clonidin als Kapvay seit Oktober 2010 zur Behandlung des ADHS zugelassen. Hersteller ist das japanische Pharmaunternehmen Shionogi. Guanfacin wurde im März 2011 als Intuniv eingeführt. Hersteller ist der britische Konzern Shire, der das Medikament auch in Europa vertreiben möchte. Der Ausschuss für Humanarz­neimittel (CHMP) der EMA hat jetzt ein positives Votum abgegeben und für den Fall, dass die Europäische Kommission zustimmt, könnte es noch in diesem Jahr eingeführt werden. Es wäre dann das erste Medikament für die Behandlung des ADHS, das zentral für alle EU-Länder eingeführt würde.

Der Hersteller konnte den CHMP durch insgesamt 13 Studien, darunter 5 Zulassungs­studien, von der Sicherheit und Wirksamkeit von Guanfacin bei Kindern und Jugendlichen überzeugen. In den Studien kam es laut EMA zu einer Verbesserung der ADHS-Symptome, die durch mehrere Krankheitsparameter dokumentiert werden konnten. Die häufigsten schwerwiegenden Nebenwirkungen waren eine Bradykardie, ein Blutdruckabfall, Synkopen, Somnolenz und eine Sedierung und die damit verbundene Gefahr von Stürzen und Unfällen. Die Behandlung mit Intuniv war auch mit einer Gewichtszunahme verbunden.

Anders als in den USA, wo Intuniv auch als Erstlinientherapie zugelassen ist, darf das Mittel in Europa bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 6 bis 17 Jahren nur dann eingesetzt werden, wenn eine Therapie mit Stimulanzien wie Methylphenidat nicht möglich ist, nicht vertragen wurde und sich als unwirksam erwiesen hat. Bei Erwachsenen darf das Mittel nicht eingesetzt werden. Clonidin ist in Deutschland nicht zur Behandlung des ADHS zugelassen.

rme

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung