Alzheimer ist keine unbehandelbare Krankheit
Berlin – Alzheimer-Demenz muss endlich vom „Stigma der unbehandelbaren Krankheit“ befreit werden. Dazu haben Experten in Berlin im Vorfeld des Welt-Alzheimer-Tages aufgerufen. Bei beginnender Demenz könnten Therapiemaßnahmen wie Gedächtnistraining, Ergotherapie und Sport die Lebensqualität der Patienten über Jahre verbessern und letztlich die Pflegebedürftigkeit um mehrere Monate hinauszögern, betonte Michael Rapp, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie, bei einer Pressekonferenz.
Die Gesellschaft müsse anfangen zu verstehen, dass die Lebensqualität bei Demenz – ebenso wie bei anderen psychischen Erkrankungen – das entscheidende Outcome-Kriterium sei. Und die Therapie komme nicht nur den Patienten zugute. „Gelänge es nur bei 80.000 Patienten, die Einweisung in ein Pflegeheim um drei Monate hinauszuschieben, würden sich die potenziellen Einsparungen für die Pflegekassen auf fast eine Milliarde Euro belaufen“, rechnete Rapp vor.
Voraussetzung für die Therapie ist allerdings eine frühzeitige und fachspezifische Diagnostik. „Noch immer wissen viele Demenz-Patienten nicht, welche Art von Demenz sie eigentlich haben“, so Rapp. Eine Untersuchung unter gesetzlich Krankenversicherten aus dem Jahr 2015 zeigt, dass rund 45 Prozent der Patienten mit Demenz keine spezifische Demenzdiagnostik erhalten. Das sei zwar eine Verbesserung zu 2008 – damals habe diese Zahl noch bei 55 Prozent gelegen –, aber immer noch viel zu wenig, monierte der Gerontopsychiater.
Besonders dramatisch macht diese Zahlen, dass sich bei jedem siebten Patienten mit beginnender Demenzsymptomatik eine körperliche Ursache für die Beschwerden nachweisen lässt, die in vielen Fällen behandelbar sind. „Das heißt, jedem siebten Patienten könnte innerhalb kürzester Zeit geholfen werden und die Kosten für die sonst notwendige Pflege eingespart werden“, so Rapp.
Allerdings wissen Patienten und ihre Angehörigen oft gar nicht, dass sie eine fachspezifische Diagnostik, zum Beispiel in einer Gedächtnissprechstunde, sowie Therapiemaßnahmen einfordern könnten. Rapp forderte deshalb die Politik dazu auf, die ambulante medizinische Rehabilitation für Menschen mit beginnender Demenz zu öffnen.
„Außerdem müssen wir die Versorgungsforschung in diesem Bereich verbessern“, ergänzte er, „denn in vielen Fällen ist noch gar nicht klar, wie nichtmedikamentöse Therapiemaßnahmen bei beginnender Demenz umgesetzt werden sollten, welche Modelle am besten wirken und welche Hindernisse die Patienten von einer Behandlung fernhalten.“
Alzheimerforschung erfordert Durchhaltevermögen
Mehr Forschung sei allerdings auch im Bereich medikamentöser Therapien dringend erforderlich, wie Isabella Heuser, Vorsitzende der Hirnliga, sagte. „Trotz der vielen Rückschläge mit Anti-Amyloidtherapien in den vergangenen zehn bis 15 Jahren müssen wir weiter forschen, betonte sie. Die Alzheimerforscherin plädierte dafür, weiter in die klinische Forschung zu investieren. Und nicht nur die Mainstreamforschung, sondern auch ungewöhnliche Projekte großzügig und nachhaltig zu fördern.
Klinische Forschung sei, so Heuser, enorm aufwendig. Und bei einer Erkrankung wie Alzheimer, die einen schleichenden Verlauf nehme, müssten Patienten und Angehörige über lange Zeiträume begleitet werden. „Wir müssen den Forschungsprojekten auch eine Chance geben, ihr Ziel zu erreichen.“
Die Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité – Universitätsmedizin Berlin sprach sich außerdem dafür aus, mehr Anstrengungen in das neue Forschungsfeld des Drug Repurposing oder Drug Repositioning zu investieren. Hierbei geht es darum, altbekannte Medikamente vielfältiger einzusetzen.
„Wir müssen die riesigen Datenmengen der Industrie nach Medikamenten durchforsten, die in den großen Studien ein Signal bei der Kognition gezeigt haben“, so Heuser. Dabei müsse es gar keine Substanz sein, die sich in der ursprünglich geplanten Indikation durchgesetzt habe – weshalb nicht nur die sich auf dem Markt befindlichen Arzneimittel überprüft werden sollten.
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