Medizin

Angeborene Gehörlosigkeit führt zur Anpassung kognitiver Funktionen

  • Mittwoch, 20. April 2016
Uploaded: 20.04.2016 18:30:41 by mis
dpa

Hannover – Die enge Verbindung von Hören und Denken belegen neue Forschungs­ergebnisse aus der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Ausgangspunkt einer entsprechenden Studie war die Tatsache, dass durch die Versorgung von gehörlosen Kindern mit Innenohrprothesen, den sogenannten Cochlea-Implantaten, ein Hördefizit zwar kompensiert werden kann, aber fast ein Drittel der Kinder trotz früher Versorgung Sprache nur unzureichend verstehen kann.

Die Arbeitsgruppe um Andrej Kral, Direktor des Instituts für Audioneurotechnologie und der Abteilung für experimentelle Otologie der MHH-Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde analysierte zusammen mit internationalen Forscherteams entsprechende Resultate von neurophysiologischen, kognitiven und klinischen Studien. Ihr in der Zeitschrift Lancet Neurology (doi: 10.1016/S1474-4422(16)00034-X) veröffentlichte Analyse zeigt: Hörverlust in der Kindheit hat auch nicht-auditive Konsequenzen – er wirkt sich also auf andere Leistungsbereiche des Gehirns aus. Der Hörverlust hat laut der aktuellen Studienlage Konsequenzen für die Steuerung von Aufmerksamkeit, für das Arbeitsgedächtnis und für sogenannte exekutive Funktionen.

„Einem hörenden Kind fällt es vergleichsweise leicht, sich auf eine Aufgabe zu konzentrieren, weil es unbewusst seine Umgebung abhorchen kann und dadurch weiß, was im nahen Umkreis geschieht. Ein gehörloses Kind kann sich schwerer konzentrieren, weil es immer wieder mit dem visuellen Scannen der Umgebung beschäftigt ist“, gibt Kral ein Beispiel für die Steuerung der Aufmerksamkeit.

Bemerkenswert ist laut der Arbeitsgruppe weiterhin die unterschiedliche Merkfähigkeit von Abfolgen: Zeigt man Kindern Farbkarten, etwa rot-gelb-grün-grün-blau-gelb, können sich hörende Kinder schneller und besser deren zeitliche Abfolgen merken, obwohl die Aufgabe rein visuell ist. „Die Sinne arbeiten jeder in seiner Nische und sind dafür optimal angepasst. Im Zeitbereich ist das Hören unverzichtbar, etwa für das richtige Einordnen von zeitlichen Abfolgen, und schlägt das Sehen um fast das Hundertfache in Präzision“, so Kral.

Die Arbeitsgruppe berichtet, dass Kinder offenbar individuelle kognitive Strategien entwickeln, um die Gehörlosigkeit auszugleichen. „Diese individuelle Anpassung des Gehirns muss man individuell bestimmen, um jeden der kleinen Patienten nach seinen Bedürfnissen zu rehabilitieren“, so Kral. Wichtig sei, die jeweilige Strategie zu identifizieren, mit der das betroffene Kind seine Gehörlosigkeit kompensiert, um dann zielgerichtet das Hören und damit verbunden den Spracherwerb zu fördern.

Die Arbeitsgruppe hat dazu eine einfach zu handhabende Testbatterie in Form eines Fragebogens vorgeschlagen, mit der die zentralen Anpassungen diagnostiziert werden können. Dank dieses Instrumentariums können Kinder, die trotz Cochlea-Implantat kein volles Sprachverständnis erwerben, rechtzeitig passgenau behandelt werden, weil sich die verantwortlichen Faktoren identifizieren lassen.

hil

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung