Angehende Neurologen häufig Burnout gefährdet

Berlin – Mehr als die Hälfte der neurologisch tätigen Ärzte berichtet in einer Umfrage mindestens einmal monatlich belastende Ereignisse zu erleben. Insbesondere bei Ärzten in Weiterbildung führt das zu einem hohen Burnoutrisiko, wie die in Neurological Research and Practice veröffentlichte Umfrage unter knapp 500 deutschen Ärztinnen und Ärzten zeigt (Neurological Research and Practice 2025; DOI: 10.1186/s42466-025-00415-x).
15 Prozent der Ärzte erleben sogar wöchentlich oder häufiger belastende Situationen. „Belastende Ereignisse gehören zur ärztlichen Tätigkeit dazu, der Umgang mit ihnen kann jedoch unterschiedlich aussehen“, erklärte Johannes Piel, Sprecher der Jungen Neurologie und Erstautor der Studie, in einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN).
Der Umfrage zufolge erlebten die Weiterzubildenden häufiger solche Belastungen, die anscheinend nicht folgenlos blieben: 27 Prozent waren Burnout gefährdet und etwa jeder vierte Befragte in Weiterbildung zeigte Merkmale eines wahrscheinlichen Burnouts. Erhoben wurde das mithilfe einer gekürzten Version des Burnout Assessment Tools (BAT 12) – einem Fragebogen, der verschiedene arbeitsbezogene Belastungen abfragt.
Die DGN nutzte für die Erhebung eine E-Mail-Umfrage, die zwischen Oktober und November 2024 an mehr als 9.000 neurologisch tätige Ärzte verschickt wurde. 493 von ihnen antworteten, 318 waren zu dem Zeitpunkt in Weiterbildung, 175 waren Fachärzte.
Sowohl Fachärztinnen und -ärzte als auch Weiterzubildende fühlten sich auf belastende Ereignisse nicht vorbereitet: Fast zwei Drittel berichteten davon. Viele der Befragten äußerten den Wunsch nach inhaltlichen Debriefings (Nachbesprechung) durch qualifiziertes Personal, zum Beispiel durch vertraute Vorgesetzte.
Mehr als 90 Prozent beider Gruppen wünschten sich eine solche Nachbesprechung und zudem eine strukturierte Einarbeitung. Allerdings findet eine Debriefing nur in den seltensten Fällen statt: Nur drei Prozent der Weiterzubildenden und acht Prozent der Fachärzte berichteten, dass sie bereits eine Nachbesprechung am Arbeitsplatz genutzt hätten.
DGN will Einarbeitung strukturieren und Debriefing etablieren
Früh in der Weiterbildung seien Ärzte nachts oder am Wochenende mit zeitkritischen Situationen, einer immer arbeitsdichteren Umgebung und schweren Patientenschicksalen allein konfrontiert, meist nur mit telefonischer Rücksprachemöglichkeit, sagte Erstautor Piel.
Angebote zu strukturierten Nachbesprechungen fänden sich kaum, vielerorts fehle eine offene Fehlerkultur. „Dieses Problem ist ein systemisches, das über die Fächergrenzen hinausgeht und in anderen kritischen Berufen wie der Luftfahrt oder Organisationen mit Sicherheitsaufgaben so nicht vorstellbar ist“, so Piel.
Onlinebefragungen wie diese können allerdings Verzerrungen unterliegen, da bestimmte Personenkreise eher teilnehmen, etwa aus Eigeninteresse an dem Thema. Die Umfrageergebnisse sind also nicht allgemeingültig für alle neurologischen Ärzte in Deutschland anwendbar.
Die Präsidentin der DGN und Letztautorin der Erhebung, Daniela Berg, sieht dennoch Handlungsbedarf. Die Fachgesellschaft wolle sich dafür einsetzen, dass eine strukturierte Einarbeitung, Angebote der Nachbesprechung und eine Umgebung, in der offen über belastende Ereignisse und Fehler gesprochen werden kann, in neurologischen Kliniken etabliert wird. Wie genau die Fachgesellschaft dabei vorgehen will, blieb in der Pressemitteilung offen.
Der Arzt als Geschädigter
Zusätzlich sprach sich Berg für eine Reduktion von Dokumentationsaufgaben, eine Rückbesinnung auf ärztliche Tätigkeiten und einem dem Patientenaufkommen angepassten Personalschlüssel aus. Möglicherweise könne auch eine fächerübergreifende Supervision sinnvoll sein.
Zusätzlich will Berg Themen wie das Second-Victim-Phänomen im Studium verankern: „Diese Themen wird die DGN im Gespräch mit den medizinischen Fakultäten adressieren und Angebote für eine studien- und berufsbegleitende Unterstützung schaffen.“
Der Second-Victim-Effekt beschreibt negative psychische Folgen nach belastenden Ereignissen im klinischen Alltag, etwa durch einen eigenen Fehler oder durch schwere Schicksalsschläge von Patientinnen und Patienten.
Als häufigste Ursache für belastende Ereignisse wurde in der Umfrage allerdings von knapp 80 Prozent der Teilnehmenden noch vor dem Second-Victim-Effekt ein hohes Patientenaufkommen benannt. Weiterzubildende beschrieben das signifikant häufiger als Fachärzte. Sie waren zudem häufiger durch Wissenslücken und mangelnde Fertigkeiten belastet.
Das zeigt sich vor allem in der Notaufnahme: 85 Prozent der Teilnehmenden benannten das als Ort, an dem belastende Ereignisse stattfinden, gefolgt von Intensivstationen (54 Prozent) und Allgemeinstationen (46 Prozent). Stroke Units wurden nicht explizit abgefragt. Sieben Prozent der Teilnehmenden gaben diesen Arbeitsbereich aber in einer Freitextoption an.
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