Apotheker und Onkologen kritisieren Ausschreibung von Zytostatika

Berlin – Apotheker sowie verschiedene ärztliche Berufsverbände und Fachgesellschaften haben die Ausschreibung von Zytostatika durch mehrere große Krankenkassen kritisiert. „Mit einer solchen Ausschreibung dringen die Kassen nicht nur in die Entscheidungskompetenz des Arztes ein, sondern auch in das besonders geschützte Vertrauensverhältnis von Arzt und Patient“, kritisierte der Vorstandsvorsitzende des Berufsverbandes der Niedergelassenen Hämatologen und Onkologen in Deutschland (BNHO), Stephan Schmitz, heute vor Journalisten in Berlin.
Die Kritik richtet sich dagegen, dass mehr und mehr Krankenkassen Exklusivverträge mit Apotheken über die Zubereitung und Lieferung von Zytostatika abschließen. Dieses Vorgehen hatte das Bundessozialgericht im November 2015 für rechtmäßig erklärt. Ähnlich wie bei den Rabattverträgen erhalten dabei die Apotheken den Zuschlag, die den niedrigsten Preis verlangen. Der Präsident des Verbandes der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA), Klaus Peterseim, erklärte, dass es etwa 300 Spezialapotheken in Deutschland gebe, die die aufwendige Herstellung von Zytostatika vornehmen könnten.
Der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbandes (DAV), Fritz Becker, befürchtet, dass die Ausschreibungen zu einer Reduzierung dieser Apotheken führen werden – „mit massiven Auswirkungen auf die Ausfallsicherheit des gesamten Versorgungssystems“. „Zytostatika-Apotheken müssen ein kostspieliges Reinraumlabor unterhalten. Aber welche Apotheke, die für zwei Jahre von der Versorgung der Versicherten einer oder aller großen Krankenkassen ausgeschlossen ist, kann diese Einrichtung auf Dauer vorhalten?“, fragte Becker. Die Folge sei klar: Von Ausschreibungsrunde zu Ausschreibungsrunde werde es immer weniger Apotheken geben, die sich an der Versorgung beteiligen könnten. Und irgendwann habe auch die Krankenkasse kaum noch Auswahl unter den Anbietern.
Ausschreibungen führen zu Versorgungsproblemen
Im Extremfall könne es dazu kommen, dass in einem Bundesland nur noch eine einzelne Spezialapotheke für die Versorgung zur Verfügung stehe, sagte Becker. Dieses Unternehmen müsse dann über große Entfernungen innerhalb kürzester Zeit liefern. „Man braucht nicht viel Vorstellungskraft, um zu verstehen, dass schon ein alltäglicher Stau auf der Autobahn zeitkritisch ist und die Versorgung von Patienten gefährden kann“, mahnte Becker.
Onkologe Schmitz betonte, dass die Haltbarkeit von Zytostatika bei acht Stunden liege. „Wenn das Medikament dann aber vielleicht erst nach 20 Stunden bei uns ankommt, ist seine Haltbarkeit bereits abgelaufen, und wir dürfen es nicht mehr verwenden“, so Schmitz. Denn schließlich liege die Verantwortung für die Behandlung bei den Ärzten, wie auch die Haftung.
Schmitz stört zudem noch etwas anderes. „Durch die Ausschreibungen greifen die Krankenkassen in den Behandlungsprozess ein“, kritisierte er. Denn heute würden die niedergelassenen Onkologen die Zytostatika in der Regel erst bestellen, wenn sie mithilfe eines aktuellen Blutbildes des Patienten festgestellt hätten, dass dieser überhaupt therapiefähig ist. Liege die Apotheke, aus der das Medikament dann geliefert wird, weit entfernt, müsse der schwerkranke Patient Stunden auf das Medikament warten oder noch einmal wiederkommen. Würden die Ärzte das Zytostatikum hingegen bereits einen Tag vorher bestellen, wozu die Ausschreibungen sie nötigten, könnten sie es nicht verwenden, wenn das Blutbild des Patienten am fraglichen Tag zu schlecht sei. „Dadurch würden jedes Mal ein paar tausend Euro verloren gehen“, sagte Schmitz.
Zusammenarbeit der Professionen wird gestört
VZA-Präsident Peterseim wies noch auf ein weiteres Problem hin: „Heute arbeiten eine Arztpraxis und die Apotheke, die die Zytostatika liefert, eng zusammen. Beide telefonieren mehrmals am Tag miteinander.“ Auch im Nationalen Krebsplan sei vorgesehen, dass die Professionen eng zusammenarbeiten sollen. „Diese Zusammenarbeit wird durch die Ausschreibung zerschlagen“, so Peterseim. Zudem müssten die Arztpraxen dann nicht mehr nur mit einer Apotheke zusammenarbeiten, sondern mit mehreren.
Zusammen mit fünf weiteren onkologischen Berufsverbänden und Fachgesellschaften haben BNHO, DAV und VZA ein Positionspapier erarbeitet, in dem sie ein Ende der Ausschreibungen von Zytostatika fordern. Der DAV-Vorsitzende Becker schlug vor, dass die Politik ein Verbot der Zytostatika-Ausschreibungen im anstehenden Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz aufnehmen könnte. In jedem Fall müsse der Gesetzgeber bald handeln. Denn „es kann nicht sein, dass die Krankenkassen die Zytostatika-Versorgung kaputtsparen“, meinte Becker.
DKG macht Gefahr auch für Klinikapotheken aus
Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) kritisierte die Ausschreibungen. „Kassenartenspezifische Krebsmittellieferanten und damit kassengesteuerte Krebsmedizin kann und darf es niemals geben“, erklärte der Hauptgeschäftsführer der DKG, Georg Baum. „Wir teilen die Sorge der öffentlichen Apotheken, weisen aber darauf hin, dass sich die Probleme in den Krankenhausapotheken genauso widerspiegeln würden. Wenn jede Krankenkasse die Versorgung ausschreibt, werden wir eine Fülle unterschiedlicher Verträge haben.“ Das bedeute aber neben Chaos und Bürokratie vor allem, dass die Versorgungsqualität sinke.
„Patienten müssten unterschiedlich behandelt werden“, befürchtete Baum. „Bei einem ist die Vertragsfirma lieferfähig, bei einem anderen muss möglicherweise eine Behandlung ausfallen, weil eine zeitgerechte Lieferung des Zytostatikums nicht möglich war – ein unhaltbarer Zustand.“ Die jetzige Versorgungssituation sei hochwertig und werde den Belangen krebskranker Menschen gerecht. Ausschreibungen seien für einen so sensiblen Bereich kein geeignetes Mittel.
AOK wirft Apothekern und Ärzten Desinformation vor
Der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes hingegen befürwortete die Ausschreibungen und kritisierte deren Gegner. „Mit falschen Behauptungen und geschickter Desinformation versuchen einzelne Apotheker und Onkologen sowie ihre Verbände derzeit, die vom Gesetzgeber gewünschten Ausschreibungen im Bereich der Zytostatikaversorgung zu Fall zu bringen“, erklärte Martin Litsch. „Wie schon zur Einführung der Arzneimittelrabattverträge werden auf dem Rücken der Patienten gezielt Ängste geschürt.“
Dabei sei es „kompletter Unsinn“, dass durch Ausschreibungen Chaos entstehe oder die Versorgungsqualität sinke. Das Gegenteil sei der Fall. „Die qualitativ hochwertige Versorgung der Krebspatienten ist auch im Rahmen der Ausschreibungen gewährleistet“, meinte Litsch. „Denn durch sie gibt es endlich mehr Transparenz und Ordnung in einem bislang weitgehend undurchsichtigen Markt. Zudem verkürzen wir damit die Lieferwege, heben die Qualitätsstandards gegenüber der Regelversorgung und kappen die Riesengewinnspannen der Apotheker, auch der Krankenhausapotheken, für die Versichertengemeinschaft.“ Dass dieses Vorgehen nicht im Sinne der Lobbygruppen der Apotheker und Onkologen sei, liege auf der Hand. Zudem seien die Krankenhausapotheken von den Ausschreibungen der AOK überhaupt nicht betroffen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: