Politik

Apothekerkammer will Rx-Medikamente ohne Rezept abgeben können

  • Dienstag, 13. September 2022
Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände(ABDA) /picture alliance, Michael Kappeler
Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände(ABDA) /picture alliance, Michael Kappeler

Berlin – In der Apothekerschaft ist die Stimmung so schlecht wie noch nie. Dem aktuellen Geschäftsklima­in­dex der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) zufolge rechnen die allermeisten Selbst­ständigen mit einer Verschlechterung ihrer Situation und vor allem der Branche an sich.

Unterdessen steht beim Deutschen Apothekertag (DAT) auch die Forderung auf der Tagesordnung, dass Apo­theker verschreibungspflichtige Arzneimittel ohne ärztliche Verordnung abgeben können sollen.

Die Apothekerschaft hatte vor einigen Wochen mit Empörung darauf reagiert, dass das Bundesgesundheits­ministerium Ärzten das Recht eingeräumt hat, den Proteaseinhibitor Paxlovid zur Behandlung von COVID-19 selbst abzugeben. Das ärztliche Dispensierrecht ist als wahrgenommene Unterwanderung der eigenen beruf­lichen Kompetenz für viele Apotheker ein rotes Tuch.

Umso beruhigender dürfte es für viele sein, dass ABDA-Präsidentin Gabriele Regina Overwiening kürzlich Entwarnung vor Schlimmerem gab: „Ich bin sehr froh, dass der Minister sehr klar gemacht hat, dass es mit ihm kein Dispensierrecht geben wird“, erklärte sie heute im Vorfeld der DAT-Eröffnung. „Dass das Dispensieren von Paxlovid erlaubt wurde, halte ich für einen Fehler. Das ist ohne Not passiert, weil die Patienten durch die Apotheken bereits ausreichend versorgt sind.“

Sie bezog sich dabei auf ihr Treffen mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), der sich Ende vergangener Woche erstmals Zeit für ein persönliches Treffen mit Vertretern der verfassten Apothekerschaft genommen hatte. Zumindest beim Thema Dispensierrecht konnte sie daraufhin den eigenen Berufsstand beruhigen, abgesehen natürlich von Paxlovid.

Ganz vom Tisch ist das Thema dennoch nicht. Auf dem morgen beginnenden Deutschen Apothekertag in Mün­chen werden die Standesvertreter auch einen Antrag der Apothekerkammer Westfalen-Lippe (AKWL) – deren Präsidentin Overwiening ist – diskutieren und eventuell verabschieden, der den Spieß umdrehen will.

Demnach soll Apothekern erlaubt werden, Patienten in Ausnahmefällen mit verschreibungspflichtigen Arz­nei­mitteln zu versorgen, ohne dass eine ärztliche Verordnung vorliegt. Das solle aber nur in eng gesteckten Gren­zen möglich sein, betonte Overwiening, nämlich nur in dringenden Fällen außerhalb der Praxisöffnungszeiten, wenn Ärzte im Notdienst nicht erreichbar sind und um eine Therapieunterbrechung zu vermeiden.

Der Antrag sei allerdings mitnichten als Reaktion auf die ärztliche Paxlovidabgabe zu verstehen. „Das hat gar nichts mit einer Retourkutsche zu tun“, beteuerte Overwiening und betonte, dass die Apothekerschaft ohnehin seit jeher mit dem ärztlichen Griff nach mehr Kompetenzen umgehen müsse: „Dass Ärzte das Dispensierrecht fordern, ist so alt wie beide Berufe nebeneinander existieren.“

Stimmungslage schlecht

Durchweg negativ hingegen waren die Berichte über die Stimmungslage in der Apothekenbranche. Von außen sieht es aus Sicht vieler Beobachter gut für sie aus: Von Impfstofflogistik über digitale Zertifikate bis zu Im­pfun­gen und vergüteten pharmazeutischen Dienstleistungen haben sich seit Beginn der COVID-19-Pandemie viele neue Einnahmequellen erschlossen. Entsprechend ist das durchschnittliche steuerliche Betriebsergebnis in den vergangenen beiden Jahren um mehr als 20 Prozent gestiegen.

Doch aus der Innenperspektive sieht das scheinbar ganz anders aus. Vor allem der extreme Personalmangel, die steigenden Kosten und die Sparpolitik der Bundesregierung machen den Apotheken nach eigenen An­gaben zu schaffen.

Die Stimmung der Apothekeninhabern hat sich deshalb umgekehrt proportional zu durch­schnittlichen Be­triebsergebnis verhalten: Gemäß der im Auftrag der ABDA vom Marktforschungsunternehmen Marpinio durch­geführten repräsentativen Erhebung unter 500 selbstständigen Apothekerinnen und Apothekern erwarten 82,8 Prozent von ihnen eine negative wirtschaftliche Entwicklung der Branche in den kommenden zwei bis drei Jahren.

Im vergangenen Jahr hatte der Wert noch bei 64,6 Prozent gelegen. „Das ist schon beachtlich, dass innerhalb von ein paar Monaten 18 Prozent weniger wirtschaftlich zuversichtlich sind“, erklärte Overwiening heute im Vorfeld der DAT-Eröffnung.

Für den eigenen Betrieb gaben 57,8 Prozent der Befragten an, dass sie eine Verschlechterung der Situation erwarten. Auch hier hat sich die Stimmung deutlich verschlechtert, im Vorjahr waren es 43,6 Prozent gewesen. Beide Werte seien neue Tiefpunkte, betont Overwiening.

Dabei sei es nicht ungewöhnlich, dass es Abweichungen zwischen der Bewertung der Branche und des eige­nen Betriebes gibt. Denn in der Regel werde die konkrete eigene Situation immer etwas selbstbewusster betrachtet als die eher abstrakte eines gesamten Berufsstandes.

Das insgesamt negative Bild spiegele sich auch in der Bereitschaft, Geld ins eigene Unternehmen zu stecken: 41,6 Prozent der Apotheken haben laut Erhebung für die nähere Zukunft keine Investitionen vorgesehen. Auch die Investitionsbereitschaft sei im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verhaltener, sagte Overwiening.

Die Ursachen für das schlechte Klima seien vielfältig und reichten von der angespannten weltpolitischen Lage seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den daraus resultierenden Sorgen und Problemen bis zu den Strapazen zweier Pandemiejahre und der Klimadebatte.

Hinzu kämen aber auch ganz konkrete betriebswirtschaftliche und gesundheitspolitische Probleme wie Infla­tion und Kostensteigerungen, die die Apotheken besonders träfen, weil sie die steigenden Kosten in der Regel nicht an ihre Patientinnen und Patienten weitergeben können. Die Vergütung für die Abgabe verordneter Me­di­kamente wiederum sei nicht dynamisiert und sei fast zehn Jahre lang nicht angepasst worden – die Infla­tion bedeute deshalb bereits eine deutliche reale Verringerung der Vergütung.

Und dann sei da noch das geplante GKV-Finanzstabilisierungsgesetz, das eine Anhebung des Abschlags vor­sieht, den die Apotheken für jedes verordnete Medikament den gesetzlichen Krankenversicherungen gewäh­ren müssen – und zwar von 1,77 Euro auf 2,00 Euro. Gegen diese Erhöhung läuft die apothekerliche Standes­vertretung seit Bekanntwerden Sturm, bisher jedoch ohne Erfolg.

Den Apothekenabschlag müssen die Apotheken den gesetzlichen Krankenversicherungen seit Jahren gewäh­ren. Er wird vom Festhonorar von 8,35 Euro (netto) abgezogen – das seit 2013 nicht angehoben wurde. Die geplante Anhebung des Abschlages würde für die Apotheken eine weitere Kürzung ihres Honorars um 120 Millionen Euro pro Jahr (netto) bedeuten, sagt die ABDA.

„Dass ausgerechnet bei den Apotheken gespart wird, deren Anteil an den Gesamtausgaben der GKV seit Jah­ren rückläufig ist und derzeit nur noch bei 1,9 Prozent liegt, ist falsch und darf nicht passieren“, kritisiert der Bundesverband. Die Erhöhung des Apothekenabschlags müsse deshalb raus aus dem GKV-Finanzstabilisie­rungs­gesetz.

Hinzu kommen weitere handfeste Probleme wie der Fachkräftemangel, mittlerweile einer der häufigsten Gründe für Apothekenschließungen. „Wir haben ein ernstes Personal- und Nachwuchsproblem in den Apo­theken“, sagte Overwiening.

Zwar stehen bei der Frage nach den größten Ärgernissen im Berufsalltag der bürokratische Aufwand und Lieferengpässe mit 92,6 und 81,6 Prozent Nennungen an erster und zweiter Stelle. Allerdings sei frappierend, dass – auf Platz drei – mittlerweile 77,8 Prozent der Inhaber Personalprobleme als eines der größten Defizite angeben. Im Jahr 2018 habe der Wert noch bei 51,3 Prozent gelegen.

Es gebe einen Anstellungsstau: Sieben von zehn Apotheken würden demnach gerne pharmazeutisches Personal einstellen – die Situation am Arbeitsmarkt mache das aber schwieriger als je zuvor. Bei der Nachfolgesuche für die Leitung der Apotheke sieht es ähnlich schlecht aus, hier erwartet knapp die Hälfte der Befragten höchstens einen ernsthaften Interessenten für die Übernahme des Betriebs. Die Folgen sind bekannt: Allein im ersten Halbjahr 2022 ist die Zahl der Apotheken in Deutschland wieder um 235 gefallen.

lau

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