Medizin

Arme Wohngegend erhöht Diabetes-Risiko

  • Freitag, 29. April 2016
Uploaded: 29.04.2016 16:24:50 by mis
dpa

San Francisco – Ob ein Mensch an einem Typ 2-Diabetes erkrankt, hängt auch davon ab, in welcher Gegend er wohnt. Dies zeigt eine Untersuchung von Flüchtlingen in Schweden, die jetzt in Lancet Endocrinology & Diabetes (2016; doi: 10.1016/S2213-8587(16)30009-2) veröffentlicht wurde.

Dass Menschen in ärmeren Wohngegenden häufiger an einem Typ 2-Diabetes erkranken, ist bereits in früheren Untersuchungen aufgefallen. Zu den möglichen Erklärungen gehört das niedrige Einkommen, das zu einer ungesunden Ernährung verleiten kann. Auch der soziale Stress, der sich beim Zusammenleben vieler Menschen auf engem Raum ergibt, könnte eine Rolle spielen. Schließlich laden ärmere Innenstadtbezirke ohne Gärten und Parks weniger zu sportlichen Aktivitäten ein. Alle diese Faktoren könnten das Risiko auf einen Typ 2-Diabetes steigern.

Der Einfluss der Wohngegend auf das Diabetesrisiko ist auch bei Flüchtlingen zu erkennen, die in den Jahren 1987 bis 1991 nach Schweden kamen. Diese wurden von den Behörden ohne weitere Sortierung auf die einzelnen Gemeinden verteilt. Damit waren ähnliche Bedingungen vorhanden wie in einer randomisierten Studie, in der die Teilnehmer nach dem Losverfahren unterschiedlichen Therapien zugeordnet werden.

Das Team um Justin White von der Universität von Kalifornien in San Francisco spricht deshalb von einem „natürlichen“ Experiment, das es ermöglichte, den Einfluss der Wohngegend auf die Zahl der Neuerkrankungen zu untersuchen. Ein weiterer günstiger Faktor war, dass das schwedische Sozialsystem alle Flüchtlinge finanziell gleich behan­delt. Es gab deshalb (zunächst) keine großen Einkommensunterschiede zwischen den ärmeren und reicheren Gegenden.

Bisher sind 7,4 Prozent der Flüchtlinge an einem Typ 2-Diabetes erkrankt. In den ärmsten Regionen waren es 7,9 Prozent in den wohlhabenderen Wohngegenden (wo allerdings weniger als 10 Prozent der Flüchtlinge unterkamen) waren es nur 5,8 Prozent. White errechnet eine Odds Ratio von 1,39 für die ärmsten Gegenden (höchster Deprivations-Index). Dies bedeutet, dass die Flüchtlinge dort zu 39 Prozent häufiger an einem Typ 2-Diabetes erkrankten als in den reicheren Gegenden (niedrigster Deprivations-Index). 

White musste diese Zahlen jedoch korrigieren. Es stellte sich heraus, dass die Flüchtlinge doch nicht vollständig nach dem Zufallsprinzip verteilt worden waren. Die Beamten, die über den Wohnort der Flüchtlinge entschieden, kannten neben dem Herkunftsland auch die Dauer der Schulzeit, Familienstand und Zahl der Kinder. Dies führte dazu, dass kinderreiche Familien mit bildungsfernen Eltern bevorzugt den ärmsten Regionen zugewiesen wurden.

Die adjustierte Analyse, die diese Faktoren berücksichtigt, kommt zu einer Odds Ratio von 1,22 (95-Prozent-Konfidenzintervall 1,07-1,38) für Gegenden mit dem höchsten Deprivations-Index. Dies bedeutet, dass in ärmeren Wohngegenden relativ betrachtet 22 Prozent mehr Flüchtlinge neu an einem Typ 2-Diabetes erkrankten. In einer zweiten Analyse gibt White den absoluten Unterschied, der durch eine ärmere Wohngegend ausgelöst wird mit 0,85 Prozentpunkte an. Das scheint wenig zu sein. Zu berück­sichtigen ist allerdings, dass der Beobachtungszeitraum relativ kurz war und die Unterschiede mit der Zeit deutlicher heraustreten könnten.

Der Einfluss könnte in Wirklichkeit auch deshalb größer sein, weil etwa die Hälfte der Flüchtlinge inzwischen den Wohnort gewechselt hat. Dieser Effekt, der auch aus randomisierten Studien bekannt ist, führt in der Regel zu einer Abschwächung des Einflusses.

Zu ähnlichen Ergebnissen war im letzten Jahr eine Auswertung der Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis (MESA) gekommen, die Einwohner aus sechs Regionen der USA begleitet. Wie Paul Christine vom der University of Michigan School of Public Health in Ann Arbor berichtete, erkrankten Einwohner in Gegenden, wo Supermärkte frisches Obst und Gemüse anbieten, zu 12 Prozent seltener an einem Typ 2-Diabetes. Sportliche Angebote in der Umgebung senkten das Risiko sogar um 21 Prozent (JAMA Internal Medicine 2015; 175: 1311-1320).

rme

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