Arzneimitteltherapiesicherheit: Polymedikation verstärkt beachten

Berlin – Polymedikation, also die Einnahme von mehr als fünf unterschiedlichen Arzneimittel, stellen für die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte eine besondere Herausforderung dar. Bei Patientinnen und Patienten, die auf mehrere Medikamente angewiesen sind, bestehe vor allem ein höheres Risiko für Wechsel- und Nebenwirkungen, informierte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) gestern im Rahmen einer Online-Veranstaltung.
Aktuelle Daten des Zi zur Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zeigen, dass im Jahr 2021 19 Prozent aller Patientinnen und Patienten, die mindestens eine Verordnung erhalten haben, in mindestens zwei Quartalen fünf oder mehr Wirkstoffe verschrieben bekommen haben. Acht Prozent der Patienten haben sogar in allen vier Quartalen Verordnungen über fünf oder mehr Wirkstoffe erhalten.
Bei Patientinnen und Patienten mit Polymedikation, die also dauerhaft fünf oder mehr unterschiedliche Medikamente einnehmen, haben 2021 im Durchschnitt in allen vier Quartalen 8,3 verschiedene Wirkstoffe von zwei verschiedenen Arztpraxen verordnet bekommen. Patientinnen und Patienten ohne Polymedikation haben je Quartal 1,8 verschiedene Wirkstoffe von 1,2 Arztpraxen erhalten.
„Je mehr Medikamente eingenommen werden müssen, desto größer wird das Risiko klinisch relevanter Wechselwirkungen. Auch wenn nach Leitlinien bestimmte Wirkstoffe indiziert sind, kann es bei Multimorbidität notwendig sein, einzelne Medikamente abzusetzen. Der Erfolg und die Sicherheit der Therapie hängen in hohem Maße davon ab, ob es gelingt, Wechselwirkungen zu vermeiden und die Patientinnen und Patienten zum Erreichen vereinbarter Therapieziele zu motivieren“, sagte der Zi-Vorstandsvorsitzende Dominik von Stillfried gestern.
Die ärztliche Beratung dieser Gruppe von Patienten erfordere deshalb Zeit, die im Praxisalltag oft knapp bemessen sei, so von Stillfried weiter. Hier könnten digitale Hilfen bei der Auswahl und Bewertung der Verordnungen punkten. „Patientinnen und Patienten, die Vertrauen in ihre Hausärztin oder ihren Hausarzt haben und sich gut informiert fühlen, zeigen eine gute Therapietreue. Sie haben damit beste Voraussetzungen für eine sichere und erfolgreiche Arzneimitteltherapie“, sagte von Stillfried.
Wichtig sei zudem eine gute Abstimmung mit mitbehandelnden Ärztinnen und Ärzten, Apotheken, Pflegediensten und Familienangehörigen. Auch eine klare Kommunikation mit den Patientinnen und Patienten sei nötig, sagte von Stillfried. Digitale Schnittstellen könnten dabei helfen, Kommunikationslücken beim Medikationsprozess effizient zu überbrücken“, bekräftigte der Zi-Vorstandsvorsitzende.
Projekt AdAM zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit
Ein Beispiel für eine solche Schnittstellenlösung sei das Projekt AdAM (Anwendung für digital unterstütztes Arzneimitteltherapie- und Verordnungs-Management). Dabei handelt es sich um ein Projekt, dass durch den Innovationsfonds gefördert wird und gemeinsam von der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) und der BARMER Krankenkasse durchgeführt wird.
„Mit AdAM erhalten die behandelnden Hausärztinnen und Hausärzte nicht nur eine strukturierte Übersicht der eigenen Verordnungen, sondern auch über die der mitbehandelnden Fachkolleginnen und -kollegen. Bestehende Krankenhausdaten sind ebenso erfasst wie die Heil- und Hilfsmittelverordnungen der Patientinnen und Patienten. Hausärztinnen und Hausärzte können durch die technische Hilfestellung, die AdAM ihnen bietet, ihre Lotsenfunktion innerhalb der ambulanten Versorgung noch besser wahrnehmen“, erklärte Julia Jachmich von der KV Westfalen-Lippe, die das Projekt gestern vorgestellt hat.
Zusätzlich zur übersichtlichen Darstellung sämtlicher Verordnungen führe das System Risikoanalysen durch, gebe spezifische Hinweise zu Kontraindikationen, schlage Optimierungen bei der Medikation und der Dosierung vor und liste aktuelle Rote-Hand-Briefe auf. Durch das Projekt werde auf relevante Risiken hingewiesen, die andernfalls leicht übersehen worden wären, fand zudem Hausarzt Dirk Wilmers aus Borken.
Das Ziel ist, das Projekt in die Regelversorgung zu überführen. Gerade hinsichtlich der künftigen E-Rezept-Nutzung könnte die AMTS zudem weiter verbessert werden. Zudem sei eine standardisierte Schnittstelle für Informations- und AMTS-Module in der Praxissoftware sowie eines Standards für die Kodierung von Arzneimitteln und Dosierungen sei perspektivisch vorgesehen, informierte das Zi weiter.
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