Arzneimittelversorgung: Debatte um Auswirkungen von Konflikten

Berlin – Deutschland muss dringend die Abhängigkeit von China bei der Produktion verschiedener Arzneimittel reduzieren. Dafür haben sich Fachleute heute in Berlin ausgesprochen. Das gilt nicht zuletzt aufgrund der politischen Spannungen zwischen China und Taiwan.
Der Geschäftsführer von Pro Generika, Bork Bretthauer, zitierte in Berlin Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) mit den Worten, Deutschland dürfe sich nicht abhängig von Ländern machen, die die deutschen Werte nicht teilten. „De facto sind wir es aber“, so Bretthauer. Zum Beispiel hänge Deutschland bei den Antibiotika am Tropf von China.
Die Fachleute diskutierten die Frage, welche Auswirkungen die Abhängigkeit von China bei einem möglichen militärischen Konflikt mit Taiwan haben könne. Tim Rühlig von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) verglich dieses Szenario mit den Folgen des Angriffskriegs von Russland auf die Ukraine im Bereich der deutschen Abhängigkeit von Erdgaslieferungen aus Russland.
Er forderte, entsprechende geopolitische Risiken einzupreisen. Deutschland müsse jetzt identifizieren, in welchen Branchen es von China abhängig sei und diese Abhängigkeit dann reduzieren. In der Pharmabranche gebe es eine solche Abhängigkeit.
Der Vorstandsvorsitzende von Pro Generika, Peter Stenico, betonte, dass es vor allem bei generisch produzierten Antibiotika und Blutdrucksenkern eine Abhängigkeit von China gebe. Dies könne schon heute zu Lieferengpässen in Deutschland führen – unter anderem, weil viele Hersteller mit nur einem chinesischen Wirkstofflieferanten zusammenarbeiteten.
Die Ursache dieser Abhängigkeiten sei, dass Europa stark auf einen Preiswettbewerb bei Generika gesetzt habe. „Nur der Hersteller mit dem günstigsten Preis kommt zum Zug“, so Stenico. „Deshalb ist es für den Hersteller wichtig, eine sehr günstige Lieferkette zu haben.“
Gerade die Produktion von Antibiotika sei zudem sehr energie- und rohstoffintensiv. Deshalb sei die Produktion von Antibiotika in Europa um einen Zehnerfaktor teurer als in China. Diese Situation könne man nur ändern, wenn künftig nicht mehr nur der Preis zähle.
Irrationale Entscheidung
Der Vorstand der Sanofi-Tochter EuroAPI, Kai Rossen, meinte, der Preisunterschied zwischen einer Produktion in China und einer Produktion in Europa liege häufig im Centbereich, wenn man es auf Tabletten herunterrechne.
Gesamtwirtschaftlich sei es insofern irrational gewesen zu sagen: Um diese Centbeträge zu sparen, produzieren wir nicht mehr in Europa und legen uns stattdessen eine komplexe Lieferkette zu.
Es sei unmöglich zu sagen, welche Auswirkungen ein chinesischer Einmarsch in Taiwan auf die Arzneimittelversorgung in Europa haben werde. In jedem Fall würden die Auswirkungen aber katastrophal sein.
Geopolitische Risiken einpreisen
Rühlig von der DGAP betonte, dass sich China der Abhängigkeiten im Pharmabereich sehr bewusst sei. Durch gezielte Investitionen in kritische Technologien versuche das Land, zunehmend unabhängig zu werden. Gleichzeitig wisse China, dass es gut sei, wenn andere Länder wirtschaftlich von China abhängig seien – gerade vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Taiwan.
Die Verantwortung, die Abhängigkeit von China im Pharmabereich zu reduzieren, liege jetzt sowohl bei der Politik als auch bei den Unternehmen, meinte Rühlig. Der Arzneimittelmarkt sei politisch stark reguliert.
Deshalb gebe es einen staatlich induzierten Preisdruck, der auch nur durch staatliche Maßnahmen verändert werden könne. Dabei müsse die Politik die bestehenden geopolitischen Risiken einpreisen. Zugleich sei es die Aufgabe der Unternehmen, resiliente Lieferketten zu schaffen.
„Es gibt zurzeit eine interessante Diskussion in der Solarwirtschaft“, sagte Rühlig. Auch in diesem Bereich bestehe eine immense Abhängigkeit von China. Die Idee sei nun, diese Abhängigkeit zu reduzieren, indem politisch vorgegeben wird, dass in zehn Jahren ein bestimmter Prozentsatz der Produkte aus Europa stammen müsse. Klar sei, dass die Abhängigkeit von China im Pharmabereich nicht schnell beendet werden könne. Deshalb aber zu sagen „Wir fangen damit gar nicht erst an“, gehe aber auch nicht.
Rossen betonte, dass es in Europa sowohl die Produktionsstätten als auch das Wissen gebe, um in Zukunft wieder mehr Arzneimittel in Europa zu produzieren. „Wir als Industrie können mehr machen“, sagte er. „Es muss aber politisch gewollt werden.“
Er verwies auf die USA, wo unter dem ehemaligen Präsidenten Donald Trump eine stärkere Subvention der Pharmaindustrie aufgebaut worden sei. „Man kann ja über Trump denken, was man will“, sagte Rossen. Er habe aber die Abhängigkeit von China erkannt und richtig viel Geld ausgegeben, um die Produktion von Basischemikalien in den USA zu stärken.
Kurzfristig bedürfe es in Europa eine Strategie, die sich nicht mehr ausschließlich am Preis der Arzneimittel orientiere, forderte Rossen Mittelfristig müsse zudem die Dekarbonisierung der Branche vorangetrieben werden.
Stenico von Pro Generika betonte, dass bei der Diversifizierung der Lieferketten noch Luft nach oben sei – weil das derzeitige System eine solche Diversifizierung nicht zulasse. Noch sei wenig Panik im System, meinte er. Wenn sich an der geopolitischen Weltlage allerdings etwas ändern sollte, werde Panik ins System kommen.
Dann sei es wichtig, stabile Lieferketten mit zwei oder drei Wirkstoffherstellern zu haben. Dafür müsse sich allerdings die Finanzierung des Systems ändern, speziell die Preisbildung, damit die Hersteller in eine Diversifizierung der Lieferketten investieren könnten.
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