Politik

New Deal für Entwicklung von Antibiotika gefragt

  • Mittwoch, 16. November 2022
Die bayerische Vertretung im belgischen Brüssel /picture-alliance, Matthias Schrader
Die bayerische Vertretung im belgischen Brüssel /picture-alliance, Matthias Schrader

Brüssel – Deutschland und Europa müssen mehr im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen tun. Das haben die Bundesärztekammer (BÄK), die Bayerische Landes­ärztekammer (BLÄK) und Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) gestern Abend bei Gesprächen in der bayerischen Vertretung in Brüssel angemahnt.

„Wir brauchen einen New Deal für die Entwicklung neuartiger Antibiotika“, sagte BÄK-Präsident Klaus Rein­hardt in Brüssel. In den vergangenen Jahren hätten sich mehrere große Pharmaunternehmen aus der Entwick­lung zu­rückgezogen. Dieser Trend müsse dringend gestoppt werden, denn er stelle eine „Gefahr für die Patienten­versorgung dar“.

Neue Anreizsysteme müssen Reinhardt zufolge dafür sorgen, dass Antibiotika für die Entwickler auch dann profitabel sind, wenn sie als Reserve für die Behandlung von schweren Erkrankungen bei Menschen vorgehal­ten werden. „So wäre es beispielsweise denkbar, das Verwendungsrecht für neuartige Antibiotika zu vergüten – unabhängig von der eingesetzten Menge“, erklärte Reinhardt.

„Wir brauchen neue, wirksame Antibiotika; und wir müssen sicherstellen, dass sie verfügbar sind, wo sie ge­braucht werden – in Europa und darüber hinaus“, sagte der BÄK-Präsident weiter. Gleichzeitig müsse die Wirksamkeit der bestehenden Mittel, so gut und solange es geht, erhalten bleiben.

Reinhardt zufolge muss dafür der Verbrauch von Antibiotika weiter reduziert werden. „Dafür müssen Gesund­heitsversorgung für Mensch und Tier, Nutztierhaltung, Lebensmittelproduktion und Umweltschutz ineinander­greifen und eine kohärente Reduktionsstrategie verfolgen“, erklärte er.

„Zur Lösung des Problems der zunehmenden Antibiotikaresistenzen braucht es einen umfassenden ‚One-Health‘-Ansatz, der über einzelne Maßnahmen im Gesundheitsbereich hinausgeht“, erläuterte BLÄK-Präsident Gerald Quitterer. Die Gesundheit von Mensch, Tier und Ökosystem sei eng miteinander verknüpft.

Konkret bedeute das, dass der Einsatz von Antibiotika im Agrarsektor weiter reduziert werden sollte. Noch immer würden in einigen europäischen Ländern in der Landwirtschaft mehr Antibiotika eingesetzt als in der Humanmedizin, so Quitterer.

Im Sinne von „One Health“ darf seiner Meinung auch nicht vergessen werden, dass schwindende Lebensräume für Wildtiere, verursacht durch den Klimawandel, eine wachsende Bevölkerung, zunehmende Mobilität und industrielle Landwirtschaft, generell eine stärkere Verbreitung von Zoonoseerregern bedeute, die zwischen Mensch und Tier übertragen werden könnten.

„Damit geht fast automatisch ein steigender Einsatz von Antiinfektiva einher“, erklärte er weiter. Eine global denkende, auf die Zukunft ausgerichtete Gesundheitspolitik müsse deshalb der Bekämpfung des Klimawan­dels, der Erhaltung der natürlichen Habitate der Tierwelt sowie der Biodiversität höchste Priorität einräumen und eine Verbesserung der Haltungsbedingungen von Nutztieren anstreben.

Produktion in der EU ausbauen

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) sprach sich auch mit Blick auf gefährliche Antibioti­ka­resistenzen zu einer Stärkung der heimischen Arzneimittelproduktion in der Europäischen Union (EU) aus und warnte vor einer Abhängigkeit von China.

„Ein New Deal für die Antibiotikaentwicklung bedeutet auch, dass wir die Rahmenbedingungen für For­schung und Produktion verbessern müssen“, sagte Holetschek. Dazu sei eine voraus­schauende Strukturpolitik auf allen Ebenen gefordert – in Bayern, in Deutschland und auf EU-Ebene.

Ziel müsse es sein, die Produktion stärker an den Standort EU zu binden und damit auch Abhängigkeiten von Drittstaaten wie China oder Indien zu reduzieren. Neben der Strukturpolitik auf allen Ebenen sei auch die inter­disziplinäre Zusammenarbeit unverzichtbar. „Im Freistaat haben wir dazu einen Bayerischen Aktionsplan gegen Antibiotikaresistenzen aufgelegt, der die Kräfte aus allen Bereichen bündelt.“

Holetschek betonte auch, dass es bei der Entwicklung und Forschung mehr Innovation braucht. Nach Angaben der WHO seien in den vergangenen fünf Jahren nur zwölf neue Antibiotika weltweit zugelassen worden. Bei vielen neuen Medikamenten entwickelten Bakterien innerhalb von zwei bis drei Jahren schon Resistenzen.

Den Standort EU stärken heißt nach Ansicht des bayerischen Gesundheitsministers auch, die Produktions­standards zu stärken. Holetschek rief die EU auf, keine Importe mehr zuzulassen, wenn diese Standards bei der Produktion im Aus­land nicht eingehalten würden. Es sei gemeinsam mit den Mitgliedstaaten ein Pro­gramm aufzulegen, um die heimische Herstellung zu fördern.

Holetschek fügte hinzu, dass man damit auch die Abhängigkeit von China reduziere. „China ist für rund 40 Pro­zent der weitweiten Antibiotikaexporte verantwortlich. Grundsätzlich wird ein Großteil der versorgungs­rele­vanten Wirkstoffe für in Deutschland zugelassene Arzneimittel in China und Indien hergestellt“, sagte er. Eine der Lehren aus der Coronapandemie sei, dass man solche Abhängigkeiten verringern müsse.

Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) wies angesichts der Woche zur weltweiten Sensibili­sierung für antimikrobielle Medikamente darauf hin, dass Mitteln gegen multiresistente Keime entwickelt werden. Es seien aber „zu wenige, um auf Dauer der Resistenzproblematik zu entkommen“. Ein Grund dafür sei, dass die Gesundheitssysteme der Industrienationen zwar im Bedarfsfall auf resistenzbrechende Antibiotika zurück­greifen wollten, diese aber finanziell zu dieser „Resistenzbereitschaft“ kaum beitragen würden.

„Die Unternehmen der Pharma- und Biotechbranche gehen mit dem jetzigen Umfang ihrer Antibiotikaent­wicklung an die Grenze dessen, was für sie wirtschaftlich vertretbar ist“, sagte Han Steutel, Präsident des vfa. Er wies darauf hin, dass mehrere Unternehmen „schon aufgeben“ mussten. „Substanziell mehr Neueinführun­gen auf diesem Gebiet würden erst möglich, wenn die Marktbedingungen gebessert würden.“

„Für absatzunabhängige Fördermaßnahmen appellieren wir an die Bundesregierung, hierzu mit den anderen europäischen Regierungen das Gespräch zu suchen“, sagte Steutel. „Denn diese können erst Wirkung entfalten, wenn sie nicht nur in einzelnen Ländern, sondern supranational implementiert werden.“

Der vfa sprach sich für mehr Förderung der akademischen Grundlagenforschung zur Resistenzbildung und zu neuen Ansatzpunkten aus, um Bakterien in Schach zu halten. Darüber hinaus sollte es ein „ergänzendes Anti­biotikaentgelt“ geben, das Kliniken für den begründeten Einsatz eines patentgeschützten Reserveantibioti­kums beantragen könnten. Auch sollte die Markteinführung neuer Reserve­antibiotika auch absatzunabhängig honoriert werden, da ihre Verkaufserlöse für die Unternehmen nicht kostendeckend seien.

Holetschek appellierte in Brüssel ebenfalls an die Bundesregierung, mehr für den Pharmastandort Deutsch­land zu tun. Mit den bisherigen Plänen für die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schade die Ampelkoalition dem Arzneimittelstandort Deutschland nachhaltig, sagte er.

Die geplanten Änderungen beim Bewertungsverfahren für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen sowie weitere Preisregulierungen würden sich als Bärendienst erweisen. Die pharmazeutischen Unternehmen würden über­proportional stark belastet.

Auf der Veranstaltung diskutierten rund 180 Vertreter von EU-Institutionen, Bund, Ländern, Unternehmen und Verbänden auf Einladung der Bundesärztekammer, der EU-Vertretung des Freistaates Bay­ern und der Bayeri­schen Landesärztekammer darüber, wie die Europäische Union den Kampf gegen Antibioti­karesistenzen voranbringen könnte.

may/EB

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