Ärzteschaft

Asymptomatische Bakteriurie: Infektiologen warnen vor zu viel Antibiotika bei Gelenkersatz­operationen

  • Freitag, 6. April 2018
Urinprobe /Benchamat, stock.adobe.com
Ohne Symptome einer Harnwegsinfektion, sind Bakterien im Urin nur in den seltensten Fällen behandlungsbedürftig. /Benchamat, stock.adobe.com

Köln – Um das Risiko einer Infektion bei einer anstehenden Gelenkersatzoperation zu verringern, erhalten viele Patienten vor dem Eingriff Antibiotika – beispielsweise, weil im Urin des Patienten Bakterien gefunden werden. Sofern ein Patient keine Symptome einer Harnwegsinfektion aufweist, seien Bakterien im Urin nur in den seltensten Fällen behandlungsbedürftig, warnen Experten der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie (DGI). Auch eine aktuelle Metaanalyse in Medicine konnte zeigen: Es gibt keine Belege dafür, dass eine Antibiotikabehandlung der asymptomatischen Bakteriurie (ASB) vor Gelenkoperationen die Rate von Gelenkinfektionen senken kann (2018; doi: 10.1097/MD.0000000000009810).

Für die aktuelle Metaanalyse werteten Wissenschaftler acht internationale Studien zur ASB-Therapie bei endoprothetischen Eingriffen aus. Das Ergebnis: Weder das Screening auf Bakterien im Urin noch die dann oft folgende Antibiotikabehandlung bringt einen Vorteil. Die Rate an Protheseninfektionen wird dadurch nicht beeinflusst.

„Wir empfehlen Kliniken deshalb auch, bei Gelenkprothesen-Patienten keine ASB-Screenings durchzuführen“, sagte Gerd Fätkenheuer, DGI-Präsident und Leiter der Infektiologie an der Klinik I für Innere Medizin am Universitätsklinikum Köln. „Statt dem Patienten zu nutzen, hat dieses Vorgehen oft lediglich einen überflüssigen Einsatz von Antibiotika zur Folge.“ Angesichts der hohen Operationszahlen sei in der Endoprothetik der rationale Einsatz von Antibiotika von besonderer Relevanz.

Nicht nur bei Gelenkoperationen – auch sonst erfolgt bei der asymptomatischen Bakteriurie oft unnötigerweise eine Therapie. Sie gehört zu den häufigsten Fehlin­dikationen bei der Verwendung von Antibiotika. In einer Metaanalyse, die 2017 in Open Forum Infectious Diseases erschien, wurden internationale Studien zur ASB-Behandlung aus den vergangenen 15 Jahren ausgewertet. In dieser Zeit behandelten Ärzte durchschnittlich 45 % aller Patienten mit ASB unnötigerweise mit Antibiotika.

Behandlungsbedürftige Harnwegsinfektion erkennen

Tatsächlich sei es jedoch nicht immer einfach, die nicht-behandlungsbedürftige ASB von einer behandlungsbedürftigen Harnwegsinfektion zu unterscheiden, räumt der DGI-Präsident ein. Entscheidend seien auch hier eine gründliche Anamnese und die klinische Untersuchung, Anzeichen für eine Harnwegsinfektion seien üblicherweise häufiger Harndrang oder Schmerzen beim Wasserlassen.

Speziell ältere und multimorbide Patienten hätten mitunter jedoch unspezifische Beschwerden, die als Symptome einer Harnwegsinfektion fehlgedeutet werden könnten. „Dies ist – neben einem falschen Sicherheitsdenken – ein häufiger Grund für die Übertherapie der ASB.“

Welches Antibiotikum bei einer Zystitis, einem unkomplizierten Harnwegsinfektion, asymptomatischer Bakteriurie oder einer Pylonephritis am besten zum Einsatz kommt, erklärt eine Leitlinie, die 2017 aktualisiert wurde. 

Um die Entstehung von Antibiotikaresistenzen zu reduzieren, setzt sich die Fachgesellschaft unter anderem in ihrer Antibiotic-Stewardship-Kampagne für einen rationalen Einsatz von Antibiotika ein. Das Programm soll eine optimale Antibiotikatherapie in Kliniken gewährleisten.

Wie erfolgreich schon vergleichsweise einfache Maßnahmen sein können, zeigt eine Metaanalyse: Durch Schulungen und Feedback-Gespräche etwa sank die Zahl der unnötigen Antibiotikagaben bei ASB in einigen Studien um bis zu 80 %. „Wenn der rationale Einsatz von Antibiotika und damit die Eindämmung von Resistenzen gelingen soll, dann ist der Ausbau von Antibiotic Stewardship-Programmen und von infektiologischer Expertise in der Versorgung unabdingbar“, so Fätkenheuer.

gie/EB

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