Medizin

Bio-Stent (bisher) ohne Vorteile bei koronarer Herzkrankheit

  • Mittwoch, 14. Oktober 2015
Uploaded: 14.10.2015 15:44:42 by mis
dpa

New York – Der weltweit erste biologisch abbaubare Koronar-Stent hat in einer Vergleichsstudie zu einem permanenten Stent die Erwartungen nicht erfüllt. Der Bio-Stent erreichte zwar das vorgegebene Non-Inferioritätskriterium. Ein Trend zu einer erhöhten Versagerrate in der behandelten Koronarie („Target Lesions Failures“) war jedoch nicht zu übersehen.

Die ersten Koronar-Stents bestanden aus unbeschichteten Metalldrähten. Sie hielten die Zielgefäße zwar offen. Die Metalldrähte stimulierten jedoch eine Abwehrreaktion des Immunsystems, die zu einer beschleunigten Restenose führte. Bei vielen Patienten war der Stent nach wenigen Monaten von Gewebe überwachsen und eine neue Revas­kulari­sierung erforderlich.

Diese Probleme konnten durch die Beschichtung der Stent-Streben mit zytostatischen oder immunsupprimierenden Medikamenten behoben werden. Doch nun stellten sich neue Probleme ein. Da die Drähte nicht überwachsen werden, kann es auch ein Jahr nach der Implantation oder später zur Stent-Thrombose kommen, wenn die duale Antithrombozytentherapie zu früh abgesetzt wird.

Die neueste Generation von Stents soll dies verhindern. Sie besteht nicht mehr aus Metalldrähten, sondern aus einem biologisch abbaubaren Kunststoff. Der weltweit erste Bio-Stent, Absorb, wurde 2011 von Abbott Vascular in Europa eingeführt. Im Jahr 2013 folgte DESolve von Elixir Medical. Die Einführung beruht auf der CE-Zertifizierung, die nicht den Nachweis eines Nutzens durch klinische Studien erfordert (was von vielen Seiten kritisch betrachtet wird).

In den USA ist dies anders. Um eine Zulassung zu erhalten, müssen die Hersteller in klinischen Studien belegen, dass die neuen Stents den auf dem Markt verfügbaren zumindest nicht unterlegen sind. Der Hersteller Abbott Vascular hat zu diesem Zweck im März 2014 in Abstimmung mit der US-Zulassungsbehörde FDA eine randomisierte klinische Studie begonnen, an der 2.008 Patienten mit stabiler oder instabiler Angina pectoris teilnahmen: 1.322 Patienten erhielten den neuen biologisch abbaubaren Stent Absorb.

Er besteht aus einem Kunststoff – einem Polyester aus Milchsäure-Molekülen, der mit der Zeit vom Körper komplett abgebaut wird – und setzt das Immunsuppressivum Everolimus frei. Die anderen 686 Patienten erhielten den Stent Xience vom gleichen Hersteller. Es setzt ebenfalls Everolimus frei. Sein Gerüst besteht jedoch aus einer Kobalt-Chrom-Legierung die sich im Körper nicht auflöst.

Der primäre Endpunkt der ABSORB III-Studie war ein „Target Lesions Failure“ (TLF) im ersten Jahr nach der Implantation: TLF war definiert als ein kardialer Tod oder ein Herzinfarkt oder eine Revaskularisierung, wobei die letzten beiden Ereignisse durch eine Störung in der behandelten Koronarie ausgelöst werden mussten. Wie in Vergleichs­studien üblich wurde vor Beginn der Studie ein Non-Inferioritätskriterium festgelegt. Dies geschah in Zusammenarbeit mit der FDA und fiel für den Hersteller recht großzügig aus. Die Marge betrug 4,5 Prozentpunkte. Das war kaum weniger als die zu erwartende Häufigkeit des Endpunkts im ersten Jahr, die im Bereich von 6 bis 8 Prozent liegt.

Es war deshalb nicht zu erwarten, dass die Studie ihr Ziel verfehlen würde. Dies zeigen auch die Ergebnisse, die auf der Tagung „Transcatheter Cardiovascular Therapeutics“ in San Francisco vorgestellt und von einem Team um Gregg Stone, Columbia University Medical Center, New York, im New England Journal of Medicine (2015; doi: 10.1056/NEJMoa1509038) publiziert wurden.

Der primäre Endpunkt war im ersten Jahr nach Implantation des Absorb-Stents bei 7,8 Prozent der Patienten aufgetreten gegenüber 6,1 Prozent in der Vergleichsgruppe. Der Unterschied betrug mithin 1,7 Prozentpunkte. Das 95-Prozent-Konfidenzintervall reichte von minus 0,5 bis 3,9 Prozentpunkte und war damit nicht signifikant. Auch das Non-Inferioritätskriterium war erfüllt. Dennoch dürften die Ergebnisse viele Beobachter enttäuscht haben, zumal der Absorb-Stent auch in allen Bestandteilen des primären Endpunktes tendenziell schlechter abschnitt: Ein Herztod trat bei 0,6 Prozent der Patienten auf gegenüber 0,1 Prozent in der Kontrollgruppe. Bei 6,0 Prozent gegenüber 4,6 Prozent kam es zu einem Herzinfarkt im Versorgungsgebiet der mit den Stents versorgten Koronarie. Die Revaskularisierungsrate betrug 3,0 versus 2,5 Prozent. Und die Rate der Stentthrombosen im ersten Jahr war mit 1,5 Prozent doppelt so hoch wie in der Vergleichsgruppe, wo das Ereignis bei 0,7 Prozent der Patienten auftrat.

Warum die Ergebnisse im ersten Jahr tendenziell schlechter ausfielen, ist nicht klar. Ein Grund könnte die technisch schwierigere Implantation sein. Die Kunststoffstreben des Stents sind größer als bei den Metall-Stents. Die Erfolgsrate der Stent-Implantation war mit 94,3 versus 99,3 Prozent niedriger als beim konventionellen Stent. Auffällig ist auch, dass 14 der 20 Stentthrombosen nach Implantation des Absorb-Stents in den ersten 30 Tagen auftraten.

Auch die Erfahrungen im GHOST-EU Register, die jüngst in EuroIntervention (2015; 10: 1144-1153) publiziert wurden, zeigen, dass die Implantation des Absorb-Stents manchmal Schwierigkeiten bereitet. Die technische Erfolgsrate war zwar mit 99,7 Prozent sehr hoch. Aber auch hier kam es bei 2,1 Prozent der Patienten zu Stent-Thrombosen, wobei 16 von 23 Fällen innerhalb von 30 Tagen auftraten. Wie häufig in der Medizin, waren die Ergebnisse im klinischen Alltag etwas schlechter als in der klinischen Studie. Die 1-Jahresrate des TLF betrug 10,1 Prozent statt 7,8 Prozent in der Studie.

Für Robert Byrne vom Deutschen Herzzentrum München ist es angesichts dieser Zahlen nicht sicher, dass der Absorb-Stent sich rasch durchsetzen wird. Der Editorialist rät dazu, die Einschlusskriterien einzuhalten. Bio-Stents seien zwar eine intuitiv attraktive Idee. Ein Versprechen allein reiche jedoch nicht, um ein neues Konzept bedingungslos aufzugreifen.

Eine abschließende Evidenz wird von den Ergebnissen der Nachfolgestudie ABSORB IV erwartet, die der Hersteller im Juli 2014 begonnen hat und an der 3.000 Patienten teilnehmen sollen. Dort sollen die Patienten dann über mehrere Jahre beobachtet werden. Der Hersteller hofft, dass die Vorteile des Stents deutlich werden, wenn das Material vollständig von Körper resorbiert wurde. Nach einem Jahr war dies nicht zu erkennen.

rme

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