Politik

Brexit: Pharmaverband warnt vor Folgen für Arzneimittel­versorgung

  • Donnerstag, 28. Juni 2018
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Berlin – Der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union (EU) Ende März 2019 kann die Sicherheit der Arzneimittelversorgung gefährden. Davor hat der Bundesver­band der Arzneimittel-Hersteller (BAH) gestern in Berlin gewarnt und die Politik zum Handeln aufgefordert. Denn noch seien in den Austrittsverhandlungen viele entscheidende Fragen ungeklärt. „Der europäische Arzneimittelmarkt ist voll harmo­nisiert und einheitlich geregelt“, sagte der stellvertretende BAH-Hauptgeschäftsführer Hermann Kortland vor Journalisten. Deshalb seien die Auswirkungen des Brexit erheblich.

Wenn man davon ausgehe, dass Großbritannien nach dem EU-Austritt zum Drittstaat ohne besondere Beziehung zum europäischen Wirtschaftsraum werde, bereiteten beispielsweise die stark verflochtenen Lieferketten von Arzneimitteln, aber auch die von Roh-, Wirk- und Hilfsstoffen Probleme, weil möglicherweise Zölle zu entrichten seien oder Grenzverfahren komplizierter würden. Dazu komme, so Kortland, dass Arzneimittelhersteller ihre Produkte innerhalb der EU nur dann in Verkehr bringen dürften, wenn sie dort einen Sitz hätten. Nur auf diese Weise könnten die Arzneimittelüberwachung und die Haftung für mögliche Schäden gewährleistet werden.

„Dieselben Anforderungen dürfte auch Großbritannien stellen“, meinte der BAH-Geschäftsführer. Die Folge: Hersteller, die zwar einen Sitz in der EU, aber nicht in Großbritannien hätten, müssten dort einen einrichten – und umgekehrt. „Das hat Doppelstrukturen zur Folge, ist ein unglaublicher bürokratischer Aufwand und kostet richtig viel Geld“, beklagte Kortland.

Britische Behörde spielt bedeutende Rolle bei Zulassung

Probleme sieht der BAH auch bei der Arzneimittelzulassung. Dabei kann eine Zulassung nach EU-Recht entweder nur in einem Mitgliedstaat, gleichzeitig in mehreren Ländern (dezentrales Verfahren) oder für die gesamte EU (zentrales Verfahren) beantragt werden. Das zentrale Zulassungsverfahren wird von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) koordiniert und federführend von einer nationalen Behörde – in Deutschland vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte und dem Paul-Ehrlich-Institut – bearbeitet. Es ist verpflichtend für alle Innovationen sowie Arzneimittel gegen schwere Erkrankungen wie Krebs oder HIV.

Da die zentrale Zulassung über eine EU-Verordnung geregelt sei, die nicht in nationales Recht überführt werden müsse, sondern unmittelbar in allen Mitgliedstaaten gelte, verliere sie in Großbritannien nach dem Brexit ihre Wirksamkeit, erläuterte Kortland. Zwar habe die britische Regierung vorgesehen, dass alle bislang rund 1.500 zentral zugelassenen Medikamente in Großbritannien auch nach dem Ausstieg aus der EU weiterhin verkehrsfähig sind. „Aber was passiert mit Arzneimitteln, die nach 2019 zentral in der EU zugelassen werden? Das ist noch völlig ungeklärt“, sagte der BAH-Geschäftsführer.

Dazu komme, dass die britische Zulassungsbehörde zusammen mit Schweden die meisten zentralen Zulassungsanträge federführend geprüft habe. Von rund 220 Verfahren entfielen 2014/2015 37 auf die britische und die schwedische Behörde, gefolgt von Deutschland, das 25 Verfahren bearbeitete. „Die Aufgaben, die bislang die britische Behörde mit großer Kompetenz übernommen hat, müssen künftig andere erledigen“, erklärte Kortland. Das sei sehr bedauerlich.

40 Prozent wechseln zur deutschen Zulassungsbehörde

Auch im dezentralen Zulassungsverfahren habe die britische Zulassungsbehörde bislang eine tragende Rolle gespielt. Sie habe seit Beginn der Harmonisierung im Jahr 1995 schätzungsweise ein Viertel der 14.000 Zulassungsverfahren als Referenzbehörde federführend betreut.

Da die Referenzbehörden für den gesamten Lebenszyklus eines Arzneimittels zuständig seien, beispielsweise für die Aufnahme neuer Indikationen, neue Packungsgrößen oder Darreichungsformen, müssten die von den Briten betreuten Verfahren nach dem Brexit an andere Mitgliedstaaten übertragen werden. Erfreulich sei, so Kortland, dass die pharmazeutischen Unternehmen sich bislang in 40 Prozent der Fälle für einen Wechsel zu einer der beiden deutschen Behörden entschieden hätten.

Der BAH-Geschäftsführer appellierte an die Politik, für pragmatische Lösungen zu sorgen und es zu ermöglichen, dass Zulassungen in der EU und Großbritannien künftig automatisch gegenseitig anerkannt werden. Dasselbe gelte für die Prüfung, Auditierung und Zertifizierung von Herstellungsprozessen, forderte Kortland. Die Bundesregierung habe signalisiert, dass sie die Anliegen der Industrie nachvollziehen könne. Sie wolle allerdings zugleich verhindern, dass Großbritannien durch das Entgegenkommen in bestimmten Bereichen Rosinenpickerei ermöglicht werde.

An Kortlands Analyse heftete Christian Baracat vom Pharmakonzern GlaxoSmithKline ein Preisschild: Die Kosten, die seinem Unternehmen durch den Brexit entstehen, bezifferte er mit einmalig 80 Millionen Euro und in der Folge 50 Millionen Euro jährlich. „Das ist Geld, das in Bereiche fließt, die keinen Mehrwert bringen“, kritisierte er. Er appellierte an die Politik, bei den Austrittsverhandlungen den Gesundheits­bereich prioritär zu behandeln, damit es nicht zu Versorgungseinbrüchen komme.

HK

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