Britische Abgeordnete verschiebt Geburt wegen Brexitabstimmung

London – Die britische Labour-Abgeordnete Tulip Siddiq hat wegen der heutigen Abstimmung über das Brexitabkommen die Geburt ihres Kindes verschoben. Eigentlich sollte die EU-freundliche Politikerin heute ihren Sohn per Kaiserschnitt zur Welt bringen. Nach britischen Medienberichten stimmten die Mediziner aber einer Verschiebung des Eingriffes um zwei Tage auf übermorgen zu.
Sie wolle die Chance nutzen und „für eine stärkere Beziehung zwischen Großbritannien und Europa“ kämpfen, zitierte der Evening Standard die 36-Jährige, die ihren Wahlkreis im Nordwesten Londons hat. Unklar war zunächst, auf welche Weise sie abstimmen sollte: im Rollstuhl im Parlament oder vom Krankenhaus aus. Die Abgeordnete, die schon eine Tochter hat, setzt sich für ein zweites Brexitreferendum ein.
Das britische Unterhaus will heute Abend über den Vertrag zum EU-Austritt Großbritanniens abstimmen. Die Chancen auf eine Annahme des 584 Seiten umfassenden Scheidungsvertrags, der einen geordneten Brexit sicherstellen soll, stehen allerdings schlecht. Die britische Premierministerin Theresa May warnt seit Tagen vor den Folgen einer Ablehnung. Dann drohe entweder ein ungeordneter Austritt mit drastischen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche oder gar überhaupt kein Brexit.
In Deutschland soll der Bundestag übermorgen ein Brexit-Übergangsgesetz beschließen. Nach Ansicht verschiedener Sachverständiger wird der Brexit mit wie ohne Austrittsabkommen zu massiven Rechtsunsicherheiten bei Unternehmen und Bürgern führen, wie eine öffentlichen Anhörung des Europaausschusses im Bundestag jetzt zeigte.
Der deutsche Gesetzgeber müsse rechtzeitig Regelungen treffen, um die Folgen abzufedern, mahnten Experten gestern. Das von der Bundesregierung vorgelegte Brexit-Übergangsgesetz werteten viele Experten als nicht weitreichend genug. Ebenfalls auf Kritik stieß das zwischen EU und der britischer Regierung ausgehandelte Austrittsabkommen.
Mit dem Brexit-Übergangsgesetz will die Bundesregierung Rechtsklarheit bezüglich jener Bestimmungen im Bundesrecht herstellen, die auf die Mitgliedschaft in der Europäischen Union oder in der Europäischen Atomgemeinschaft Bezug nehmen. Insbesondere trifft der Entwurf Regelungen zugunsten von britischen und deutschen Staatsangehörigen, die vor Ablauf des Übergangszeitraums in Deutschland beziehungsweise im Vereinigten Königreich einen Antrag auf Einbürgerung stellen.
Martin Schmidt-Kessel (Uni Bayreuth) bezeichnete es als „sinnvoll“, die geplante zweijährige Übergangsperiode nach dem Brexit in nationales Recht zu überführen, da vieles sonst von der Auslegung der Gerichte abhängen würde. So gebe es „enorme Verbraucherschutzfragen“, die man adressieren müsse.
Eine „überwiegend deklaratorische Bedeutung“ bescheinigte jedoch Christian Calliess, Rechtswissenschaftler an der Freien Universität Berlin, dem Entwurf. Um Widersprüche mit Blick auf europäische Vorgaben zu verhindern, müsse es konkretisiert werden.
Für überflüssig hielt Franz Mayer von der Universität Bielefeld das Übergangsgesetz. Das zwischen EU und der britischen Regierung ausgehandelte Austrittsabkommen sei ein „EU-only“-Abkommen, das der Mitwirkung der nationalen Parlamente nicht bedürfe und grundlegende Fragen bereits regle. Insofern habe der Entwurf lediglich einen „wiederholenden Charakter“.
Verschlechterungen für britische Arbeitnehmer in der EU befürchtete unter anderem Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Ihrer Meinung nach reicht der vorliegende Gesetzentwurf nicht aus, um erworbene Rechte – etwa bei Kranken- und Rentenversicherungen – zu sichern und anzuerkennen.
Vor einem erheblichen Kontrollverlust für die EU und den gemeinsamen Binnenmarkt durch das Austrittsabkommen warnte Peter-Tobias Stoll von der Georg-August-Universität Göttingen. Viele Standards seien darin nicht ausreichend definiert, etwa fehlten Regelungen zum Verbraucherschutz.
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