Medizin

Brustkrebs: Gentest könnte vielen Patientinnen Chemotherapie ersparen

  • Freitag, 26. August 2016
Uploaded: 28.10.2013 17:56:51 by mis
dpa

Lissabon - Das Ergebnis eines Gentests, der die Expression von 70 Genen im Primärtumor bestimmt, kann bei vielen Frauen mit Mammafrühkarzinom den Verzicht auf eine adjuvante Chemotherapie rechtfertigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine große europäische Studie im New England Journal of Medicine (2016; 375: 717-729). Der Verzicht wäre allerdings mit einem leicht erhöhten Risiko auf eine spätere Metas­tasierung verbunden.

An der MINDACT-Studie (Microarray in Node-negative and 1 to 3 Positive Lymph Node Disease May Avoid Chemotherapy) hatten zwischen 2007 und 2011 an 112 Zentren 6.693 Frauen mit Mammakarzinom teilgenommen, bei denen weniger als drei Lymphknoten befallen waren. In dieser Situation bestimmt derzeit eine Reihe von klinischen und pathologischen Eigenschaften, ob eine adjuvante Chemotherapie angezeigt ist oder nicht.

In der Studie wurde bei allen Frauen zusätzlich ein Gen-Expressions-Test (MammaPrint) durchgeführt, der aufgrund des Nachweises von 70 Genen in den Tumorzellen eine zusätzliche Risikoabschätzung erlaubt. Wenn die Ergebnisse beider Tests ein hohes Risiko anzeigten, wurde den Frauen zu einer adjuvanten Chemotherapie geraten. Wenn die Ergebnisse beider Tests ein niedriges Risiko anzeigten, wurde davon abgeraten. 

Jene Frauen, bei denen die Testergebnisse diskordant waren (einer zeigte ein hohes, der andere ein niedriges Risiko an) wurden auf zwei Gruppen randomisiert. In einer Gruppe wurde eine adjuvante Chemotherapie durchgeführt, in der anderen nicht.

Fatima Cardoso von der Fundação Champalimaud in Lissabon hat jetzt die Ergebnisse der Frauen verglichen, die aufgrund der früheren rein klinischen Entscheidung eine Chemotherapie erhalten hätten, bei denen aber aufgrund des Gentests darauf verzichtet wurde. Primärer Endpunkt war die 5-Jahres-Überlebensrate ohne Fern­metastasen. Er wurde von den Frauen mit hohem klinischen Risiko (bei denen aber aufgrund des Gentests auf die adjuvante Chemotherapie verzichtet wurde) von 94,4 Prozent der Frauen erreicht. Bei den Frauen, die eine Chemotherapie erhalten hatten, waren 95,9 Prozent nach fünf Jahren noch ohne Fernmetastasen.

Die Differenz von 1,5 Prozentpunkten zeigt einerseits an, dass die adjuvante Chemotherapie ein besseres Ergebnis erzielt. Andererseits ist eine Chance von 94,4 Prozent, den Tumor überwunden zu haben, ein gutes Argument, um auf eine Chemotherapie zu verzichten, die nicht nur mit Strapazen verbunden ist, sondern langfristig auch das Risiko auf eine Leukämie und Herzinsuffizienz (wenn auch nur geringfügig) erhöht.

Die Forscher hatten sich vor Beginn der Studie eine Zielmarke von 92 Prozent gesetzt. Mit einer Rate von 94,4 Prozent liegen sie klar darüber. Dies ist aufgrund eines 95-Prozent-Konfidenzintervalls von 92,5 bis 96,2 Prozent auch unter ungünstigen statistischen Annahmen der Fall. Auch in anderen Endpunkten waren die Unterschiede gering: Das rezidivfreie Überleben war bei Verzicht auf die Chemotherapie um 2,8 Prozentpunkte und das Gesamtüberleben um 1,4 Prozent geringer.

Die klinischen Auswirkungen sind groß: Aufgrund der Studie könnte bei 14 Prozent aller Frauen mit einem Mammafrühkarzinom auf eine adjuvante Chemotherapie verzichtet werden, heißt es in einer Pressemitteilung der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC). Europaweit können jährlich 60.000 bis 70.000 Patientinnen betroffen sein. In den USA wären es 35.000 bis 40.000 Patientinnen, die auf eine adjuvante Chemotherapie verzichten könnten. 

Dort scheint aber derzeit noch die Skepsis zu überwiegen. Clifford Hudis von der Ameri­can Society of Clinical Oncology und Maura Dickler vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center in New York meinen im Editorial, dass ein Gewinn von 1,5 Prozent in der Überlebenschance am Ende viele Frauen doch bewegen würde, auf Nummer sicher zu gehen und sich für eine adjuvante Chemotherapie zu entscheiden. Die beiden Editorialisten vermuten, dass es einige Zeit dauern dürfte, bis sich die Therapie­gewohnheiten verändern.

rme

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