Bundessozialgericht: Vertragsärzte dürfen nicht streiken

Kassel – Vertragsärzte dürfen nicht streiken. Auf das im Grundgesetz verankerte Streikrecht können sie sich nicht berufen, entschied heute das Bundessozialgericht (BSG) in Kassel (Az: B 6 KA 38/15 R). Der 6. Senat wies damit eine Revisionsklage des Chefs des baden-württembergischen Ärzteverbundes Medi, Werner Baumgärtner, ab. Baumgärtner will nun Verfassungsbeschwerde einlegen.
Baumgärtner hatte am 8. Oktober und 21. November 2012 seine Allgemeinarztpraxis in Stuttgart geschlossen und ausdrücklich erklärt, er wolle damit das ihm verfassungsrechtlich zustehende Streikrecht wahrnehmen. An diesen Tagen gab es dann auch kleinere Kundgebungen mit weiteren Ärzten. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Baden-Württemberg hielt den Streik jedoch für unzulässig und erteilte Baumgärtner einen Verweis.
Seine dagegen gerichtete Klage wies das BSG nun ab. Nach Auffassung des 6. Senats gibt es für Vertragsärzte kein durch die Verfassung oder die Europäische Menschenrechtskonvention geschütztes „Streikrecht“. Baumgärtner habe „seine vertragsärztlichen Pflichten schuldhaft verletzt“. „Derartige, gegen gesetzliche Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen gerichtete ,Kampfmaßnahmen’ sind mit der gesetzlichen Konzeption des Vertragsarztrechts unvereinbar“, heißt es vom Gericht. Vertragsärzte hätten eine „Präsenzpflicht“ und müssten daher während ihrer Sprechstunden ihren Patienten zur Verfügung stehen.
Die Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung ist laut BSG den KVen als Körperschaften des öffentlichen Rechts übertragen worden. In diesen Sicherstellungsauftrag ist nach Auffassung des Gerichts der einzelne Vertragsarzt aufgrund seiner Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung und seiner Mitgliedschaft bei der KV eingebunden.
Mit einem Streik könnten Ärzte ihre Forderungen nach höherer Vergütung und weniger Bürokratie nicht durchsetzen. Konflikte mit Krankenkassen um die Höhe der Gesamtvergütung würden in diesem System nicht durch „Streik“ oder „Aussperrung“ ausgetragen, so die Richter. Stattdessen könnten die Kassenärzte bei Streitigkeiten mit Krankenkassen oder KVen ein Schiedsamt anrufen und dessen Entscheidungen gerichtlich überprüfen lassen. Zudem gebe es keinen Gegner, der rechtlich in der Lage sei, Streikforderungen der niedergelassenen Ärzte zu erfüllen, sagte der Vorsitzende Richter.
Das BSG hält damit ein Urteil des Sozialgerichts Stuttgart. Das hatte ebenfalls entschieden, die Bestimmungen des Vertragsarztrechts sähen ein ärztliches Streikrecht als Grund für eine Unterbrechung der Praxistätigkeit nicht vor. Baumgärtner dagegen argumentierte, Vertragsärzte dürften nicht schlechter gestellt sein als Arbeitnehmer oder Beamte. Zudem habe der Streik nicht die Versorgung der Patienten gefährdet, da eine ausreichende Notfallversorgung und Vertretung sichergestellt gewesen sei.
Das BSG betonte zugleich aber auch, dass politische Kundgebungen grundsätzlich zulässig seien. Wie eine Praxisschließung zur Teilnahme an einer Demonstration zu bewerten ist, ließen die Kasseler Richter offen. Baumgärtner habe aber ausdrücklich einen Streik angekündigt.
Baumgärtner bedauerte die Entscheidung. „Ich hätte mir mehr Mut gewünscht und keine Fortsetzung nach der Maxime des unbedingten Systemerhalts“, sagte er. Der Medi-Chef nannte das Urteil „ein fatales Signal an den ärztlichen Nachwuchs“. Dieser habe wegen der Rahmenbedingungen immer weniger Lust hat, sich niederzulassen. Nach Auffassung Baumgärtners und der seiner Anwälte steht jedermann und jederfrau ein Streikrecht zu – auch allen Angehörigen eines freien Berufs, zu dem auch die Vertragsärzte zählen. In den nächsten vier Wochen wollen Baumgärtners Anwälte den Gang vor das Bundesverfassungsgericht vorbereiten.
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