Politik

Bundestag setzt Enquetekommission zur Aufarbeitung der Coronakrise ein

  • Donnerstag, 10. Juli 2025
/picture alliance, Kay Nietfeld
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Berlin – Gut zwei Jahre nach dem Ende der letzten bundesweiten Beschränkungen in der Coronazeit geht der Bundestag eine umfassende Aufarbeitung der Pandemie und ihrer Folgen an. Das Parlament beschloss mit breiter Mehrheit die Einsetzung einer Enquetekommission.

Dafür stimmten Union, SPD, Grüne und Linke. Bei der AfD gab es Nein-Stimmen und Enthaltungen. Das Gremium mit Abgeordneten und Experten soll im September die Arbeit aufnehmen und bis Mitte 2027 einen Bericht mit Erkenntnissen und Empfehlungen vorlegen.

„Die Kommission soll untersuchen, was gut funktioniert hat, aber auch, wo es Defizite gab – und wie wir daraus konkrete Lehren für künftige Krisen ziehen können“, sagte die SPD-Fraktionsvize Dagmar Schmidt.

Unions-Fraktionsvize Albert Stegemann (CDU) betonte, es gehe um eine ehrliche Analyse der Coronazeit. Im Gegensatz zu parteipolitischen Schuldzuweisungen ermögliche es die konstruktive Auseinandersetzung, Vertrauen in staatliches Handeln zu stärken.

Grüne und Linke tragen die Kommission mit, auch wenn sie daneben einen Untersuchungsausschuss zu Maskenkäufen des damaligen Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) fordern.

Helge Limburg (Grüne) sagte, man hoffe, dass die Kommission „einen kleinen Beitrag zur gesellschaftlichen Versöhnung leisten kann“. Die AfD forderte einen U-Ausschuss für eine „schonungslose“ Coronaaufarbeitung statt eines „Kommissiönchens“, wie der Abgeordnete Stephan Brandner sagte. Ates Gürpinar (Linke) machte deutlich, man werde niemals einen Untersuchungsausschuss mit den Stimmen der AfD durchsetzen.

Krise von „historischer Tragweite“

Die künftige Kommission heißt: „Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse“. Die Pandemie habe Bürger und Bürgerinnen, Zivilgesellschaft, staatliche Institutionen, Unternehmen, Kunst und Kultur von 2019 bis 2023 mit Herausforderungen „von historischer und seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannter Tragweite“ konfrontiert, heißt es im Antrag.

Um schwerwiegende Folgen besonders für Risikogruppen abzuwenden, sei es auf Solidarität angekommen – und eine Abwägung der Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft und eine verhältnismäßige Gestaltung von Grundrechtseingriffen.

Das Untersuchungsziel ist eine umfassende, wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der Pandemie und des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns sei unerlässlich, um belastbare Schlussfolgerungen für die Zukunft zu ziehen, heißt es.

Leitend solle sein, „dass alle Maßnahmen und Entscheidungen immer nur vor dem Hintergrund des Informationsstands zum betreffenden Zeitpunkt bewertet werden können“. Trotz vieler Untersuchungen etwa auch in den Ländern hätten viele den Eindruck, die Pandemie sei noch nicht ausreichend aufgearbeitet.

In der vorigen Wahlperiode, gleich nach der akuten Krise, kam eine Auswertung der Schutzmaßnahmen mit Masken, Tests und Schließungen auf Bundesebene nicht zustande. Diskutiert wurde etwa über einen Bürgerrat, die Ampelkoalition einigte sich aber nicht.

Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mahnte eine Aufarbeitung an: „Das, was wir nicht offen ansprechen, nährt einfach nur Verschwörungstheorien und neues Misstrauen.“ Union und SPD vereinbarten dann im Koalitionsvertrag eine Enquetekommission. Sie ist ein Format für große, komplexe Themen. Das französische Wort „Enquête“ bedeutet Untersuchung.

Der Kommission sollen 14 Abgeordnete und 14 Sachverständige angehören. Als Vorsitzende ist die CDU-Abgeordnete Franziska Hoppermann nominiert. Die Union kann fünf Abgeordnete benennen, AfD und SPD jeweils drei, die Grünen zwei und die Linke einen Abgeordneten.

Die Sachverständigen sollen im Einvernehmen benannt werden – mit angemessener Beteiligung von Ländern und Kommunen und ausgewogener Vertretung der Wissenschaftsdisziplinen und Gesellschaftsbereiche. Kommt kein Einvernehmen zustande, sollen die Fraktionen die Experten wie nach dem Abgeordneten-Schlüssel benennen.

Beleuchtet werden soll eine Reihe von Aspekten. Dazu gehören die Früherkennung mit Pandemieplänen und Vorsorge, das Krisenmanagement mit den Bund-Länder-Runden der Ministerpräsidentenkonferenz, Krisenstäben und der Einbindung wissenschaftlicher Expertise.

Darüber hinaus soll es um den rechtlichen Rahmen und die parlamentarische Kontrolle gehen, Maßnahmen gegen die Virusausbreitung mit Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, Ältere und Sterbende. Thema sein werden auch Impfungen und das Beschaffen von Schutzausrüstung wie Masken und Tests sowie Hilfen für Unternehmen und den Arbeitsmarkt. Auswirkungen auf Kultur, Tourismus, Ehrenamtler und Vereine.

Die Kommission soll öffentliche Anhörungen von Experten, Interessenvertretern und Betroffenen abhalten und Gutachten einholen können. Perspektiven und Erfahrungen von Bürgern könnten „insbesondere durch öffentliche Formate einbezogen werden“, heißt es im Antrag.

Auch eine „altersgerechte Befragung“ von Kindern und Jugendlichen ist möglich. Die „laufende Erkenntnisgewinnung“ und Ergebnisse sollen der Öffentlichkeit in geeigneter Form zugänglich gemacht werden – mit Berücksichtigung besonders schutzbedürftiger Informationen.

Die Kommission soll dem Bundestag bis zum 30. Juni 2027 einen umfassenden Abschlussbericht mit Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen vorlegen. Es kann auch Zwischenberichte zu abgeschlossenen Aspekten geben, was eine frühere parlamentarische und politische Befassung damit ermöglichen soll.

Alle Mitglieder der Kommission können auch Sondervoten abgeben. Mit dem Abschlussbericht veröffentlicht werden sollen auch Protokolle der Sitzungen, wenn die Kommission nicht öffentlich getagt hat.

dpa/afp

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