Sars-CoV-2 könnte einer schweren Grippewelle gleichkommen

Berlin – Das neuartige Coronavirus Sars-CoV-2 wird voraussichtlich „wie eine schwere Grippewelle durch Deutschland laufen“. Das hat Lothar H. Wieler, Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), gestern bei einer Pressekonferenz in Berlin betont. Wichtig sei, durch Eindämmungsmaßnahmen Zeit zu gewinnen, um die Erkrankungswelle von der saisonalen Grippe zu entkoppeln, die seit Januar bereits 60 Menschenleben gefordert habe.
Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Berliner Charité, wies darauf hin, dass die Erkrankung Covid-19 sich bei den meisten Patienten nur in Form einer Erkältung äußere. Dies konnte auch Clemens Wendtner von der München Klinik Schwabing bestätigen, der derzeit 8 der deutschen Coronapatienten behandelt, die sich bei einer chinesischen Geschäftsreisenden angesteckt hatten.
7 der 8 Patienten zeigten einen sehr milden Verlauf mit Husten und leichtem Fieber, berichtete er. Nur bei einem Patienten hätten sich Zeichen einer Viruspneumonie gezeigt, doch auch dieser Patient sei nach medikamentöser antiviraler Behandlung auf dem Weg der Besserung und absolut stabil.
Dennoch geht Drosten davon aus, dass das neue Coronavirus Pandemiepotenzial hat – anders als das inzwischen sehr gut untersuchte Sars-Virus. Denn entgegen anfänglicher Vermutungen zeigen aktuelle Studien, dass sich Sars-CoV-2 in entscheidenden Fähigkeiten vom Sars-Virus unterscheidet: „Der große Vorteil von Sars war, dass die Patienten in der 1. Woche nach dem Onset bereits Symptome hatten, aber noch nicht stark infektiös waren.“
/youtube, Science Media Center Germany
Beim Coronavirus Sars-CoV-2 sei das anders. In Studien hätten Forscher gezeigt, dass auch symptomfreie beziehungsweise Patienten mit sehr gering ausgeprägter Symptomatik das Virus bereits übertragen würden. Drosten nennt es oligosymptomatisch, was bereits über ein leichtes Kratzen im Hals definiert sein kann.
„Es macht außerdem einen Unterschied, ob das Virus wie bei Sars von Lunge zu Lunge, oder von Rachen zu Rachen, wie das Influenzavirus und Sars-CoV-2, übertragen wird“, berichtet der Berliner Virologe. Das neue Coronavirus repliziere sehr effizient im Hals, was den Infektionsweg deutlich verkürze im Vergleich zu Viren, die für eine Ansteckung erst die Lunge erreichen müssten.
Volle Arztpraxen, aber zu bewältigen
Auf die Frage, ob das deutsche Gesundheitssystem über ausreichend Kapazitäten verfüge, mit einer Sars-CoV-2-Pandemie umzugehen, verwies Wieler auf die Grippewelle 2017/ 2018. Schätzungen zufolge starben damals rund 25.100 Menschen in Deutschland – die höchste Zahl an Todesfällen in den vergangenen 30 Jahren.
Mit rund 10 Millionen Arztbesuchen sei 2017/2018 kein normaler Krankenhausbetrieb mehr möglich gewesen. Dennoch sei das System in der Lage gewesen, die Erkrankungswelle zu managen, so der RKI-Präsident.
„Wir werden bei einer Infektionswelle volle Arztpraxen und Wartebereiche haben, es wird schwierig sein, die Normalversorgung aufrecht zu erhalten“, bestätigte Drosten. Doch auch dies werde nach ein paar Wochen wieder vorbei sein, sagte er.
Aus Sicht des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) ist Deutschlands Gesundheitswesen hingegen nicht ausreichend auf eine medizinische Notlage vorbereitet, von der viele Menschen binnen kürzester Zeit betroffen sein könnten.
„Es ist nicht nur die in jedem Jahr mehr oder weniger heftig angelaufene Grippewelle, sondern es ist die Tatsache, dass Deutschland auf eine Pandemie nicht ausreichend vorbereitet ist“, warnte VKD-Präsident Josef Düllings.
Er verwies darauf, dass in den vergangenen Jahren viele Krankenhäuser immer wieder Abteilungen geschlossen und Betten reduziert hätten und damit auch Reserven für Notsituationen gekappt worden seien. Nach dem Kapazitätsabbau der vergangenen Jahre gebe es inzwischen für eine ernste Situation nicht mehr genügend Reserven.
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