Chronisches Müdigkeitssyndrom: Virushypothese endgültig widerlegt
New York – Das chronische Müdigkeitssyndrom wird nicht durch Retroviren ausgelöst. Entsprechende Hinweise, die vor drei Jahren in Science publiziert wurden, und weltweit Aussehen erregten, konnten erneut in einer randomisierten klinischen Studie in mBio (2012; doi:10.1128/mBio.00266-12) nicht reproduziert werden. Die damalige Hauptautorin hat ihren Irrtum inzwischen eingesehen.
Der zeitlich klar zu fassende Beginn, die an eine Erkältung erinnernden Prodromalsymptome und die Beobachtung von örtlichen und zeitlichen Häufungen der Diagnosen lassen eine Virusinfektion des des chronischen Müdigkeitssyndrom plausibel erscheinen. In der Vergangenheit wurden deshalb verschiedene Erreger als Ursache diskutiert, darunter die „üblichen Verdächtigen” wie das Epstein-Barr-Virus oder Borrelia burgdorferi.
Die wissenschaftliche Öffentlichkeit vermutete deshalb im Oktober 2009 einen Durchbruch, als die Forscherin Judy Mikovits vom Whittemore Peterson Institute (WPI), einer privaten Forschungsanstalt in Reno/Nevada, zusammen mit Kollegen des National Cancer Institute und der Cleveland Clinic in Science berichtete, sie habe bei 68 von 101 Patienten mit chronischem Müdigkeitssyndrom Retroviren im Blut gefunden: Das XMRV (xenotropic murine leukemia virus-related virus) war erst drei Jahre zuvor beschrieben worden und eine andere Forschergruppe meinte das Virus zuvor bereits in Gewebeproben des Prostatakarzinoms gefunden zu haben.
Die Hypothese verschaffte der klinisch nur schwer definierbaren Erkrankung erstmals einen „objektiven“ Nachweistest. Sie bot zudem die Aussicht auf eine Behandlung, da einige der gegen das HI-Virus entwickelten antiretroviralen Wirkstoffe auch gegen XMRV aktiv sein sollten. In den USA entstanden die ersten Behandlungszentren. Die Warnungen anderer Forscher, die die Ergebnisse von Mikovits alle nicht reproduzieren konnten, wurden von den Patienten, die auf eine Heilung hoffen konnten, und den Therapeuten, die daran verdienten, in den Wind geschlagen.
Eigentlich war schon 2010 klar, dass es im Labor von Mikovits zu Kontaminationen gekommen sein musste, wenn nicht gar Betrug im Spiel war. Mikovits war Ende 2011 sogar zwischenzeitlich in Haft. Ihr ehemaliger Arbeitgeber hatte ihr Diebstahl von Forschungsunterlagen vorgeworfen. Später wurde die Klage fallen gelassen.
Das Team um Ian Lipkin von der Columbia Universität bezog Mikovits deshalb wohl bewusst in die Prüfung ein, die die National Institutes of Health bei ihm bestellt hatten, um die Hypothese einer weiteren Prüfung mit einer ausreichend großen Anzahl von Patienten zu unterziehen. Dies könnte spätere Verschwörungstheorien vermeiden, nach denen kritische Forscher bewusst von der Überprüfung ausgeschlossen oder die Ergebnisse manipuliert würden.
Die Forscher untersuchten Blutproben von 293 Personen, darunter waren 147 Patienten, die sowohl die „Fukuda“-Kriterien als auch die „Canadian Consensus“-Kriterien für das chronische Müdigkeitssyndrom (CFS) oder die myalgische Enzephalomyelitis (ME) erfüllten, wie die Erkrankung auch genannt wird. Bei den anderen 146 Personen handelte es sich um gesunden Kontrollen, die den CFS/ME-Patienten in möglichst vielen Eigenschaften ähnelten, außer dass sie selbst nicht erkrankt waren.
Die beteiligten Labors bei den Centers for Disease Control and Prevention und bei der Food and Drug Administration, ebenso die Arbeitsgruppe von Mikovits konnte jetzt bei keinem der Patienten mittels der Polymerasekettenreaktionen Virusgene nachweisen. Sie waren auch bei den Gesunden niemals vorhanden. XMRV scheint beim Menschen nicht verbreitet zu sein.
Daran ändern vermutlich auch die serologischen Befunde von Mikovits nichts, die bei 9 von 147 Patienten Antikörper gegen XMRV im Serum fand. Die gleiche Anzahl von Proben war aber auch bei Gesunden positiv ausgefallen. Möglicherweise stimmte etwas mit dem Test nicht. Ein positives Testsergebnis ist wegen der fehlenden Assoziation zur Erkrankung jedenfalls diagnostisch wertlos.
Für die Forscher, die sich mit den Ursachen der Erkrankung beschäftigen, geht die Suche nach den Ursachen jetzt wieder von vorne los. Für die Patienten könnten die Aufregung um die XMRV den Vorteil haben, dass mehr Ärzte als bisher ihre Erkrankung anerkennen, auch wenn die Zahl der Skeptiker überwiegen dürfte.
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